Aus unserem theoretischen Organ in französischer Sprache, »Programme Communiste«, übernehmen wir ab dieser Nummer des »Bulletins« eine Reihe von Artikeln, die 1964–1965 erschien. Diese Artikel bilden eine nützliche Einführung in die Positionen der marxistischen Partei im Hinblick auf die historische Entwicklung Chinas und ermöglichen das Verständnis von Problemen, die allgemein Verwirrung erzeugen. Infolge ihrer historischen Gesamtbetrachtung, ihres prinzipiellen Stellenwerts und ihrer Vorwegnahme der späteren Entwicklung bilden diese Artikel aus den frühen 1960er-Jahren auch die Grundlage für eine sich anschliessende Untersuchung zur sog. »Kulturrevolution«, zur Gesamtdarstellung der Entwicklung des chinesischen Kapitalismus seit der Machtergreifung durch die Maoisten und zur Kritik der maoistischen Ideologie.
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In den Jahrzehnten, die auf die Oktoberrevolution folgten, hat die soziale Bewegung in China eine enorme Verschärfung und Verbreitung erfahren, die nur mit der Zuspitzung der imperialistischen Konflikte um die Herrschaft in Asien und durch die aktive Teilnahme des chinesischen Proletariats an den politischen Kämpfen zu erklären ist. Eine erste Welle der Bewegung hatte in China bereits vorher stattgefunden, als Reaktion gegen den Expansionsdrang des von seinen Krisen von 1848 und 1870 erholten europäischen Kapitalismus. Der Höhepunkt dieser ersten Welle war der Taiping-Aufstand[1] gewesen; die soziale Bewegung war aber in Asien politisch noch unreif.
Unter dem Einfluss der russischen Revolution dagegen nahmen die Klassenkämpfe bald eine politische Form an. So bildete Sun Yat-sen 1918 in Kanton eine bürgerlich-nationale Regierung. Kurz darauf wurde die kommunistische Partei Chinas gegründet. Somit trat Asien in die moderne Geschichte ein. Die Frage blieb aber offen: wird es durch das kleine Tor der in der westlichen Welt bereits antiquierten bürgerlichen Demokratie eintreten oder das Ende seiner Isolierung durch den Sieg der proletarischen Revolution besiegeln?
Die Vernichtung der Diktatur des Proletariats in Russland durch die stalinistische Konterrevolution hat die Chance des chinesischen Proletariats zerstört, seine Leiden und seinen Weg zur Macht abzukürzen. Das will aber nicht heissen, dass der Stalinismus dann mindestens der nationalen bürgerlichen Bewegung geholfen hätte. Im Gegenteil, man musste 30 Jahre auf die Erfüllung des Zieles von Sun Yat-sen, die »Volksdemokratie«, warten. Im übrigen ist das letzte Wort dadurch nicht gesprochen, dass in der maoistischen Verfassung die politischen Prinzipien des Kapitalismus in goldenen Buchstaben niedergeschrieben sind. Die »chinesische Frage« bleibt bestehen. Es geht selbstverständlich nicht mehr darum, ob das chinesische Proletariat inmitten der politischen und sozialen Kämpfe der bürgerlichen Revolution und der internationalen Klassenkämpfe den Sieg erringen kann. Diese Chance einer »doppelten Revolution« in China wurde seit Jahrzehnten verspielt. Heute sind es nicht die Interessen des Proletariats, die im Mittelpunkt der »chinesischen Frage« stehen, sondern die Interessen des bürgerlichen Staates, der versucht, einen angemessenen Platz unter den anderen Nationen zu gewinnen. Somit zeigt Peking klar, welche Ziele die »Volksdemokratie« ansteuert und ansteuern muss: nicht die soziale Emanzipation der Unterdrückten, sondern die nationale Emanzipation des chinesischen Kapitalismus.
In dem Moment, wo die Testamentsvollstrecker Sun Yat-sens das Bündnis, das die chinesische Bourgeoisie 1924 mit Moskau eingegangen war und dem die Unabhängigkeit der proletarischen Partei für lange Zeit geopfert wurde, aufkündigen mussten, wurde selbst den treuen Spiessgesellen der UdSSR deren reaktionäre Rolle klar. Der Bruch zwischen China und der UdSSR ist für uns Kommunisten ein Ausdruck der Rivalität zwischen einem reifen russischen Kapitalismus und einem jungen Konkurrenten, wie einst der zwischen dem bürgerlichen England und dem revolutionären Frankreich.
Diese Interessenkonflikte zwischen der russischen und dem chinesischen Staat sind aber darüberhinaus für uns Kommunisten ein erneuter Anlass, uns auf die revolutionären Grundsätze zu beziehen.
Über diese Interessenkonflikte zwischen dem russischen und dem chinesischen Staat hinaus ist es aber notwendig, sich auf die grosse Auseinandersetzung über den Weg der proletarischen Revolution in Asien wieder zu beziehen, einer Revolution, die die heutigen chinesischen Führer nicht weniger als Stalin sabotiert haben. Und dabei muss man bedenken, dass sie sich heute auf Stalin gegen Chruschtschow berufen!
Die Verantwortung der UdSSR für die Niederlage des chinesischen Proletariats, das es an das bürgerliche Programm und an die bürgerliche Macht gebunden hatte, ist enorm gewesen. Bei der Polemik mit Chruschtschow und dem falschen »Extremismus« Pekings geht es aber um etwas anderes. Sie haben kein anderes Ziel, als die Verwirrung und Unterjochung des chinesischen Proletariats zu verlängern, indem man es zur Einheitsfront mit »seiner« Regierung aufruft, um den »wahren Sozialismus« aufzubauen. Sollte es dem »chinesischen Sozialismus« jemals gelingen, die Schuld Moskaus gegenüber China wieder gutzumachen, so kann er die Schäden nicht beheben, die dem revolutionären Kommunismus zugefügt wurden. Denn die Geschichte der proletarischen Bewegung in China wurde im Blut ertränkt wegen des Scheiterns des Proletariats, eine Klassenpartei zu schaffen, die die theoretischen und taktischen Probleme der chinesischen Revolution internationalistisch stellt und löst.
Das Ziel unserer Untersuchung ist sowohl, die brennenden Fragen der vorherigen Generationen im Sinne des Marxismus klarzustellen, als auch die sozialen Antagonismen des jungen chinesischen Kapitalismus und seine Akkumulationsschwierigkeiten im Innern und gegenüber dem amerikanisch-russischen Imperialismus aufzuzeigen. Es soll vor allem gezeigt werden, dass die Niederlage des Proletariats eben durch die Klassenkollaboration, das Verlassen des eigenen Programms und somit der eigenen Autonomie möglich war; und dass eine Wiederaufnahme der Klassenkämpfe in China nur erreicht werden kann, wenn das Proletariat wie in der Kommune von Kanton (1927), die unter der Parole »Nieder mit der Kuomintang!« ausbrach, sich in einer noch mächtigeren Bewegung gegen die »Volksdemokratie«[2] der Erben der Kuomintang erhebt.
Der Marxismus hat sich unter den historischen und sozialen Bedingungen der Entfaltung des Industriekapitalismus in Westeuropa endgültig als Theorie des revolutionären Proletariats herausgebildet. Es war weder ein deutscher noch englischer noch französischer Marxismus. Der Kampf, den seine Vertreter gegen Proudhon, Lassalle und später gegen die russischen Sozialrevolutionäre führten, war ein Kampf gegen jegliche kleinbürgerliche Vorstellung von »nationalem Sozialismus«. Von Anfang an haben Marx und Engels aus den ökonomischen Gesetzen des Kapitals und den politischen Formen seiner Herrschaft die grundlegenden Prinzipien der Klassenpartei als gültig für alle Zeiten und für alle Länder heraus destilliert. Deswegen besteht seitdem die Aufgabe der Kommunisten nicht darin, den Marxismus den lokalen und jeweiligen Bedingungen des Klassenkampfes »anzupassen«, sondern in die Reihen des Proletariats zu tragen, um ihn zu seiner Waffe zu machen und um die Verbindung der Arbeiterbewegung mit ihrer revolutionären Theorie herzustellen.
Die stalinistischen Verfälschungen bestanden unter anderem darin, Lenins Werk als geniale »Anpassung« des Marxismus an das rückständige Russland darzustellen; und die Chinesen dekorierten »ihren Sozialismus« mit denselben nationalistischen und volkstümlerischen Prädikaten. Es ist doch klar, dass die nationale und koloniale Frage dem Marxismus auf keinen Fall irgendeine »Bereicherung« aufzwingt oder eine Revision rechtfertigt. Marx hat gerade mitten in der deutschen bürgerlichen Revolution das »Kommunistische Manifest« geschrieben und die Aufgaben der Klassenpartei definiert. Und die Grösse Lenins bestand in seiner Fähigkeit, die russische antifeudalistische Revolution bis zur Diktatur des Proletariats zu führen. Aber beide machten den endgültigen Sieg der deutschen oder russischen Proletarier abhängig vom Schicksal der Weltrevolution, von den Klassenkämpfen in den entwickelteren kapitalistischen Ländern, und nicht von einer »Bereicherung« des Marxismus durch die Theorie vom »Aufbau des Sozialismus in einem Land«.
Weil die russische Revolution und damit die III. Internationale zusammenbrachen, konnte die historische Verbindung zwischen der nationalen Bewegung der unterdrückten Völker und der internationalen kommunistischen Bewegung nicht erfolgen. China wurde das erste Opfer dieser stalinistischen Konterrevolution. Als der »Block der vier Klassen« in Kanton zusammenbrach und Tschiang Kai-schek sich darauf vorbereitete, die Rolle Kerenskis zu spielen, verbot Moskau der chinesischen Partei die Parole des Oktober: »Alle Macht den Räten!« auszugeben. Im übrigen hatte Moskau das Schicksal der KPCh schon bestimmt als es sie zur Zusammenarbeit mit der bürgerlichen Kuomintang gezwungen hatte. Aber Stalin leistete noch mehr: es gelang ihm, alle Brücken zwischen der chinesischen Revolution und dem Klassenkampf in Europa zu zerstören. Der Generalstreik der englischen Arbeiter (1926) fiel mit der Offensive des chinesischen Proletariats zusammen. Stalin sabotiert ihn durch die Gründung des berühmten »Englisch-Russischen Komitees«, zusammen mit den korrumpierten Trade-Unions, um die grösste Bewegung der britischen Arbeiter nach dem Kriege zu liquidieren. Man kann sagen, dass die Geburt des »chinesischen Sozialismus« in Moskau durch Stalin mit dem Blut der Konterrevolution unterschrieben wurde.
Somit hatte sich das Verhältnis zwischen den proletarischen Bewegungen in den Industrieländern und den nationalen Bewegungen in den Kolonien umgekehrt. Man erwartete nicht mehr, wie Lenin, die Rettung der russischen und chinesischen Revolution vom Sieg der kommunistischen Bewegung in Europa. Der Leuchtturm steht nun im Osten und das westliche Proletariat kann seine Befreiung nur vom »Aufbau des Sozialismus« in der UdSSR oder den nationalen Unabhängigkeitsbewegungen der Länder Afrikas und Asiens erhoffen, was angeblich die »Monopole« schwächt und die »Demokratie« stärkt. Auf diese Weise wurden die nationalen Revolutionen zu unrecht sozialistisch genannt und das Proletariat wurde gezwungen, die Interessen der Nation und der Demokratie zu seinen eigenen zu machen. In den entwickelten kapitalistischen Ländern, wo die Phase der bürgerlichen Revolution schon seit 1870[3] abgeschlossen war, rief der »nationale Sozialismus« das Proletariat auf, im Bündnis mit dem Kleinbürgertum gegen die »ausländischen Monopole«, gegen den »Faschismus« und für die »demokratische Erneuerung« zu kämpfen. In den rückständigen Ländern zwang er es, einen Block mit der »patriotischen« Bourgeoisie zur Durchführung der »nationalen Revolution« zu bilden oder sogar (wie in China) sich auf die Aufgaben der ohnmächtigen und historisch verdammten Bourgeoisie zu beschränken. So musste das Proletariat also nicht sein eigenes Klassenprogramm, sondern das des Kapitals verwirklichen.
In der imperialistischen Epoche schmücken sich alle rückständigen bürgerlichen Staaten mit »sozialistischen« Attributen. Aber dieser »nationale Sozialismus« hat eine internationale Geschichte: die der Konterrevolution. Vor allem in China drückt er sich in einer Ideologie aus, die auf den Trümmern der Klassenpartei siegte.
Die grundlegende Frage der ganzen sozialen Bewegung in Russland war, ob man den Rückstand dieses Landes auf dem bürgerlichen Weg Europas nachholt oder ob das Überspringen des Kapitalismus möglich wäre. Im Gegensatz zu den westlichen Liberalen, die jegliche Überwindung der bürgerlichen Gesellschaft ableugneten, glaubten die Panslawisten und Volkstümler, das Geheimnis der Überwindung in der reaktionären Vergangenheit Russlands gefunden zu haben. Für sie stellte der Dorfkommunismus, der Mir, den direkten Übergang zum höheren Kommunismus dar. Somit ignorierten sie die Existenz eines starken russischen Feudalismus und die ersten Anzeichen einer kapitalistischen Entwicklung im zaristischen Reich.
Dieser nationalen und idealistischen Konzeption des Überspringens der bürgerlichen Phase stellte der Marxismus seine wissenschaftliche und internationalistische Konzeption der kombinierten Entwicklung gegenüber. Er hat zuerst betont, dass das dörfliche Gemeineigentum zersetzt war, und hat somit gezeigt, dass der Kampf der Bauern nicht mehr die Verteidigung des Kollektiveigentums zum Ziel hatte. Auf diese Weise können diese Klassenkämpfe nur auf eine bürgerliche Revolution hinzielen. Diese würde aber in einer historischen Entwicklungsphase aufbrechen, wo die internationale und russische Bourgeoisie ihren eigenen Henker, das Proletariat, bereits erzeugt hatte. Also hatte das Proletariat in der russischen Revolution die Möglichkeit, die Leiden der kapitalistischen Akkumulation zu verkürzen, wenn es sich als Teil der Avantgarde des internationalen Proletariats organisieren und das Signal für die sozialistische Revolution in Europa geben konnte.
Dieselbe Frage stellte sich in China, wo der Rückstand auf dem Lande noch grösser und die Konzentration des ausländischen Kapitals in Städten wie Shanghai, Hongkong und Kanton gigantischer war. Würde man den Sprung über die Jahrhunderte und die Produktionsweisen schaffen, der China von den primitiven Formen der Klassengesellschaft zum historischen Ziel der klassenlosen Gesellschaft führen würde? Die Existenz einer proletarischen Macht in Russland verstärkte diese Möglichkeiten und stellte den direkten Kampf gegen die Herrschaft des Kapitals auf die Tagesordnung der Weltpolitik.
Wie im vorrevolutionären Russland gab es in China eine nationalistische Strömung, die die überwundenen Strukturen des Gemeineigentums idealisierte und in ihnen die zukünftige Lösung sah, Diese Strömung finden wir in der politischen Schrift Tschiang Kai-scheks »Das Schicksal Chinas« wieder. Aber die soziale Krise machte die alte reformistische Lösung der Landumverteilung und des Dynastiewechsels unmöglich.
Das chinesische »Volkstümlertum«, das von Sun Yat-sen, dem Gründer der Kuomintang, vertreten wurde, unterschied sich vom russischen Volkstümlertum durch eine weniger kühne Theorie, da es nicht mit allen Mitteln den Kapitalismus »vermeiden« wollte, sondern den »Sozialismus« als Endziel der nationalen und demokratischen Revolution ausgab. Im Gegensatz zum russischen Volkstümlertum ging das chinesische nicht »zum Volk« sondern schickte ganz einfach… die kommunistische Partei dahin. Selbst in seiner am besten organisierten und bereits reaktionären Form (der Kuomintang) gelang es dem chinesischen Populismus nie, sich wirklich in der chinesischen Bauernschaft zu verankern und sie zu repräsentieren. Eben das hätte eine proletarische Partei anprangern und entlarven müssen, anstatt sich als politischer Garant der Kuomintang anzubieten und die soziale Bewegung in den engen Grenzen der »Volksdemokratie« gefangen zu halten.
Die von den Bolschewiki für Russland aufgestellten Kriterien waren also gleichermassen für China gültig. Von einem wachsenden Proletariat in die Enge getrieben, zögerte die »nationale« Bourgeoisie, ihre Revolution bis zum Ende zu führen. Dies kann nie ein Grund für das Proletariat sein, seine Fahne wegzuwerfen, im Gegenteil! Wie in Russland bewies die Entstehung von Arbeiterräten in China den Doppelcharakter der Revolution und verband China mit der kommunistischen Bewegung des internationalen Proletariats. Die chinesischen Kommunisten mussten sich also darauf vorbereiten, die Klassenkämpfe auf die Parole der Revolution in Permanenz auszurichten.
Die kombinierte Existenz einer bürgerlichen nationalen Bewegung und einer Aktion der organisierten Arbeiter machte eine solche politische Linie zwingend. Die Gültigkeit dieser Linie wird durch die Niederlage des Proletariats nicht widerlegt. Denn die Klasse, die die historische Initiative ergreifen musste, hat sozusagen nicht ihre eigene Revolution durchgeführt, sondern die Arbeit der ohnmächtigen Bourgeoisie übernommen. Denn es ist ja wahr, dass das Kapital nur von den Fehlern und Niederlagen des Proletariats leben kann.
Der Stalinismus hat alles getan, um der dialektischen Konzeption einer kombinierten Entwicklung eine gradualistische Konzeption gegenüberzustellen, die jede mögliche Überwindung der bürgerlichen »Etappe« ausschliesst. Dies war nicht eine theoretische Spitzfindigkeit, sondern sollte in China eine andere Taktik als die des russischen Oktobers rechtfertigen, und zwar die menschewistische Taktik der »Revolution in Etappen«, Die stalinistische »Wissenschaft« hat alles dafür getan, um einen unüberwindlichen Graben zwischen China und Russland zu ziehen.
Um den »Aufbau des Sozialismus« in der UdSSR glaubhaft zu machen, hat sich die sowjetische offizielle Geschichtsschreibung beeilt, dem historischen Rückstand Russlands gegenüber Europa durch die Ziehung falscher Parallelen ihrer kapitalistischen Entwicklung zu verschleiern. Trotzki hat dies seinerzeit in seinen Polemiken gegen den Historiker Pokrowski entlarvt, Für China hatte man eine Theorie aufgestellt, die es vom zaristischen Russland durch zwei wesentliche Eigenschaften unterscheiden sollte: das koloniale Joch und ein noch stärkerer und rückständigerer Feudalismus auf dem Lande. Gemäss dieser Theorie sollte die antikoloniale chinesische Bourgeoisie durch den imperialistischen Druck revolutionärer geworden sein als die antizaristische russische Bourgeoisie. Daraus folgte natürlich, dass während der ganzen antiimperialistischen Phase das Proletariat sich bedingungslos der Bourgeoisie unterordnen musste, um gegen den ausländischen Feind zu kämpfen. Die Antwort Trotzkis in seiner Broschüre »Die chinesische Revolution und die Thesen von Stalin« lautet:
»Eine Politik, die den mächtigen Druck des Imperialismus auf das innere Leben Chinas übersehen würde, wäre von Grund auf falsch. Aber nicht weniger falsch wäre eine Politik, die von einer abstrakten Vorstellung über den nationalen Druck ausginge, ohne dessen klassenmässige Brechung und Spiegelung zu bedenken, [Hervorhebung IKP] […] Die mächtige Rolle des ausländischen Kapitals im Leben Chinas hat dazu geführt, dass sehr starke Schichten der chinesischen Bourgeoisie, der Bürokratie und der Militärs ihr Schicksal an das Schicksal des Imperialismus geknüpft haben. Ohne diese Verknüpfung würde die riesige Rolle der sogenannten ›Militaristen‹ im Leben Chinas während der letzten Periode undenkbar sein.
Es wäre ferner ungeheuer naiv zu glauben, dass zwischen der sogenannten Kompradorenbourgeoisie, d. h. der ökonomischen und politischen Agentur des Auslandskapitals in China, und der sogenannten ›nationalen‹ Bourgeoisie ein Abgrund besteht. Nein, diese zwei Schichten stehen einander unvergleichlich näher als die Bourgeoisie und die Massen der Arbeiter und Bauern. Die Bourgeoisie nahm am nationalen Kriege als innere Bremse teil, wobei sie die Arbeiter- und Bauernmassen dauernd feindselig beobachtete und immer bereit war, einen Kompromiss mit dem Imperialismus zu schliessen.« Trotzki, »Die erwürgte Revolution«, Bd. 1, Verlag Neuer Kurs, S. 57, 58, 59.
Weil die chinesische Revolution von 1924–27 mit dem letzten revolutionären Aufflammen des westlichen Proletariats zusammenfiel, zu einer Zeit, wo der Faschismus und die Volksfronten noch nicht zu den Blöcken des 2. Weltkrieges geworden waren, diente die »chinesische Frage« als Sprungbrett für den Reformismus innerhalb der nationalen und kolonialen Bewegungen. Aber die von Trotzki damals verteidigte Position hat sich auch in allen anderen Fällen bewiesen. Weit davon entfernt, »revolutionärer« zu sein, sind die nationalen und antikolonialen Bourgeoisien in der imperialistischen Phase immer feiger und opportunistischer geworden. Die Lehren des russischen Oktober sind ohne Zweifel für alle kolonialen Länder Afrikas und Asiens gültig. Wie Trotzki zeigt, macht man, wenn man vom kolonialen Joch auf den revolutionären Charakter der chinesischen Bourgeoisie schliesst, denselben Fehler (und schlägt dieselbe Taktik ein) wie die Menschewiki, die aus der feudalistischen Ausbeutung die angeblich revolutionäre »Natur« der russischen Bourgeoisie ableiteten. Wenn auch die antikolonialen Revolutionen auf das Niveau bürgerlicher nationaler Revolutionen gehoben werden können, so ist es im Sinne des Marxismus doch unmöglich, dass sie den klassischen Charakter bürgerlicher Revolutionen übertreffen. Ganz im Gegenteil: eine antikoloniale Revolution stellt mehr als eine klassische bürgerliche Revolution die Interessen des Weltkapitalismus in Frage und zwingt also die wahren Hauptgegner der Klassenkämpfe in der imperialistischen Phase in den Vordergrund: Bourgeoisie und Proletariat.
Die stalinistische Theorie vom »chinesischen Feudalismus« ist nicht besser als die vom »revolutionären Charakter« der antikolonialen Bourgeoisie. Sie hat ebenfalls das Ziel, die Rolle der Bourgeoisie dadurch auszuschmücken, dass man sie als Befreier der Leibeigenen hinstellt, Aber die chinesische Bourgeoisie hatte noch weniger als in Russland ein Interesse daran, sich an die Spitze der Agrarrevolution zu stellen, und sie hatte noch weniger als in Russland eine »antifeudale Aufgabe« zu erfüllen.
In der Tat war eine der Ursachen für die Rückständigkeit Chinas (wie Russlands) die Unfähigkeit seiner Bourgeoisie, sich autonom als herrschende Klasse zu konstituieren. Sie hat sich nicht wie die europäische Bourgeoisie in der Opposition zu den anderen Klassen der alten Gesellschaft entwickelt, sondern vielmehr als ihr Anhängsel. Denn sie hat sich auf natürliche Weise durch den Handel mit Grund und Boden, der während nahezu 2000 Jahren erlaubt geblieben war, mit der Mandarinenkaste verquickt. Im Unterschied zum Leibeigenen hatte der chinesische Bauer immer die Möglichkeit, sein Land zu pachten, zu kaufen und zu verkaufen. Die Grossgrundbesitzer waren gegenüber dem »dritten Stand« nicht eine privilegierte Klasse wie im feudalen Europa, sondern sie waren immer eng mit der Schicht der Händler und Wucherer verbunden. Es gab also kein feudales Eigentum und keine rein feudale Leibeigenschaft. Die Knechtung der Bauern beruhte nicht auf der Leibeigenschaft der Arbeitskraft, über die der Herr frei verfügen konnte. Es handelte sich mehr um Pachtschulden für wertvolles und knappes Land. Die Verbreitung der Rente, ob in Form von Naturalien oder Arbeit zu leisten, hatte nichts zu tun mit einer Feudalrente; sie war das extreme Resultat der Zersetzung der asiatischen Produktionsweise und der ausschliesslich wucherischen Entwicklung der kapitalistischen Rente. Deshalb war eine Agrarrevolution, die von der Bourgeoisie gegen die »Feudalen« geführt würde, in China unmöglich. Es gab keine Frage von einem »dritten Stand«, der die Bauern von ihrer Scholle befreit; denn die Bourgeoisie hätte dabei gegen ihre eigenen Klasseninteressen handeln müssen, da sie über das Handels- und Wucherkapital verfügte. So geht die ganze Theorie vom »chinesischen Feudalismus« in Scherben.
In der Tat unterscheidet Marx zwischen Feudalismus, antiker Sklaverei und »asiatischer Produktionsweise«, wobei China nach dem Niedergang des alten Ägyptens und Mesopotamiens das einzige lebende historische Beispiel der letzteren geblieben war. Sicherlich war diese Produktionsweise degeneriert, aber man kann den besonderen Charakter, die »Originalität« der chinesischen Revolution nicht verstehen, wenn man von ihr abstrahiert. Die Rückständigkeit Russlands gegenüber Europa lässt sich teilweise sehen durch die Existenz einiger »asiatischer« Elemente erklären. Besonders die Verbindung von Landwirtschaft und bäuerlicher Handwerksproduktion verhinderte die Entwicklung der Städte und der Bourgeoisie. Doch in der Morgendämmerung der bürgerlichen Revolutionen im westlichen Europa behob Russland diesen Nachteil durch die verspätete Errichtung der Leibeigenschaft, durch einen Staatsfeudalismus, der die Bedürfnisse des Handels, des Prestiges und des Krieges gegen den Westen befriedigte. Das war der politische Leitfaden des Zarismus von Iwan dem Schrecklichen bis Katharina II.
In China drückte sich die vorherrschende asiatische Produktionsweise in der Notwendigkeit einer sozialen Regulierung der Bewässerung aus, um Landwirtschaft überhaupt erst möglich zu machen. Daraus hat der Kaiser als »Sohn des Himmels« das Prinzip seines dauerhaften Despotismus geschöpft; die freien Bauern, die durch die kollektiven Bewässerungsarbeiten vereinigt waren, schöpften daraus die Mittel, um dem Feudalismus mit Erfolg zu widerstehen. Aus denselben Gründen hat sich die Sklaverei in China nur auf das häusliche Personal beschränkt, und konnte nicht die Gestalt einer eigenständigen Produktionsweise wie in der griechischen und römischen Antike einnehmen. Keine historische Umwälzung konnte China feudalisieren: weder die Invasionen der Mongolen, noch die Mandschu-Dynastie, noch schliesslich die den »Kriegsherren« vom Weltimperialismus gewährte Unterstützung, um besser seine Politik der Zerstückelung des Landes in Einflusssphären zu verwirklichen.
Aber eine solche Konzeption der historischen Entwicklung, die die grossartige Perspektive eines Sprunges von 2000 Jahren über die primitivsten Formen der Klassengesellschaft hinweg eröffnen würde, würde gleichzeitig die chinesische Bourgeoise Verbündete des »Blocks der vier Klassen«, als parasitäre und reaktionäres Element hinwegfegen. Aber gerade diesen revolutionären Sprung Chinas und damit des Weltproletariats wollte Stalin verhindern. Deshalb erfand er folgende gradualistische Interpretation der geschichtlichen Entwicklung Chinas: Sklaverei, Feudalismus, Kapitalismus. Erst nach der letzten dieser »Etappen« würde man von proletarischer Revolution sprechen können!
II. Revolution und Konterrevolution: 1924–1927
Das Bündnis mit der Kuomintang: Sieg des Menschewismus
Die Theorien über den »antifeudalen« Charakter der chinesischen Revolution und über den »revolutionären Charakter« der antikolonialen Bourgeoisie hatten nur ein Ziel: die proletarische Partei den nationalen Zielen der Kuomintang unterzuordnen. Dieses Ziel wurde 1924 erreicht. Auf dem ersten Kongress der Kuomintang trat die chinesische kommunistische Partei der Partei Sun Yat-sens bei.
Keine der Rechtfertigungen, die für dieses Bündnis gegeben wurden, halten einer ernsthaften marxistischen Kritik stand: weder das Argument der zahlenmässigen Schwäche der KP – in keinem Fall, und vor allem nicht in der Phase des Parteiaufbaus, darf die Partei ihre Autonomie und damit ihren Klassencharakter aufgeben; noch das Argument, wonach die Kuomintang keine bürgerliche Partei wäre, sondern einen »Block der vier Klassen« repräsentiere, d. h. ein revolutionäres Parlament, dem beizutreten die Pflicht der proletarischen Partei sei, um ihre Aufgabe in der bürgerlichen Revolution zu erfüllen. Wenn die Kuomintang wirklich ein solches Parlament und nicht eine politische Partei gewesen wäre, warum verlangte sie dann von den Kommunisten den individuellen Beitritt und verbot ihnen als Partei ihre eigenen Ziele und ihre eigene Strategie innerhalb dieser »Versammlung« zu verteidigen? Das letzte Argument ging selbst von der Tatsache aus, dass die Kuomintang eine bürgerliche Partei sei: man behauptete, dass das Bündnis aus taktischen Erwägungen, im Sinne zeitlich begrenzter Übereinkommen in Teilfragen mit anderen revolutionären Parteien eingegangen worden wäre, was Marx und Lenin in der nationalen bürgerlichen Revolution nicht ausgeschlossen haben. Dieses Argument von der »antiimperialistischen Front« setzte sich durch. Trotzkis Verdienst war es, zu zeigen, dass diese Übereinkommen nichts mit Taktik zu tun hatten. Er hat sie als prinzipielle Allianz, als Unterordnung der KPCh unter das bürgerliche Programm entlarvt.
Um diese These zu beweisen, genügt es, das Kommuniqué zu lesen, des nach Vorverhandlungen zwischen Russen und Chinesen von Joffe und Sun Yat-sen am 26. 1. 1923 unterzeichnet wurde:
»Dr. Sun Yat-sen ist der Meinung, dass weder die kommunistische Organisation noch selbst das Sowjetsystem heute in China einführbar sind, weil die notwendigen Bedingungen für den Sieg der Festigung des Kommunismus und des Sowjetsystems nicht vorhanden sind. Diese Meinung wird von Herrn Joffe vollkommen geteilt, der der Auffassung ist. dass das dringendste und wichtigste Problem Chinas ist, seine nationale Unabhängigkeit zu erringen[…]«.
Also negiert der bürgerliche Revolutionär Sun Yat-sen wie die russischen Menschewiki die Möglichkeit einer proletarischen Revolution in China. Der Vertreter der Republik der Sowjets »teilte« diese Meinung. Die russische Diplomatie hatte den Menschewismus in China verbreitet. Welche Position hatten eigentlich die Menschewiki? Eben, dass Russland nicht reif wäre für den Sozialismus, was auf ökonomischer Ebene richtig war, aber falsch in Bezug auf die politische Schlussfolgerung; dass das organisierte Proletariat in der bürgerlichen Revolution nur die Rolle eines Helfershelfer spielen und höchstens solche sozialen Forderungen stellen dürfe, die darauf abzielen, die antifeudalistische Bewegung »bis zum Ende zu führen«. Keine Klassenpartei kann auf diesen Prinzipien aufbauen. Trotzdem manifestierte sich die menschewistische Position, wie man weiss, sogar in der bolschewistischen Partei zwischen Februar und April 1917. Stalin war damals einer von denen, die die Einberufung der Konstituierenden Versammlung befürworteten, um der Doppelherrschaft von Bourgeoisie und Proletariat ein »demokratisches« Ende zu setzen. Die energische Klarheit Lenins war unerlässlich, um die menschewistische Parole durch die der Klassenpartei zu ersetzen: »Alle Macht den Räten!«. Aber der Sieg Lenins war nur möglich dank einer langen Tradition des Kampfes gegen den Menschewismus und dank der Fähigkeit, sich gegenüber den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien abzugrenzen, nämlich durch die revolutionäre Vorbereitung. In China wurde die proletarische Bewegung sofort unterdrückt, weil sich die KPCh seit langem der Kuomintang untergeordnet hat.
Die Vorstellung der Kuomintang von dem Verlauf der chinesischen Revolution lässt sich in den »Drei Prinzipien des Volkes« des Dr. Sun Yat-sen zusammenfassen: Nationalismus, Demokratie und Sozialismus[4]. Unter dem Prinzip »Nationalismus« verstand man den Kampf für die nationale Unabhängigkeit und Vereinigung des Landes. Unter »Demokratie« verstand Sun Yat-sen die Errichtung eines parlamentarischen bürgerlichen Regimes. Viel verschwommener war der Begriff »Sozialismus«, der einfach irgendwelche »sozialen« Reformen beinhaltete. Die Kuomintang betrachtete die Realisierung Jedes dieser Prinzipien als notwendige Etappe bevor man die chinesische Revolution vorwärtstreiben könnte: zuerst die nationale Einheit, dann die Konstituierende Versammlung und schliesslich die sozialen Reformen. Diese Taktik der Bourgeoisie zielte darauf ab, die Initiative und Führung der revolutionären Bewegung vollständig in der Hand zu haben. Trotzdem war sie unfähig, das geringste Resultat zu erzielen: Die nationale Unabhängigkeit hätte nur durch den Aufstand der Bauern erreicht werden können, und die Agrarrevolution hätte nur durch die Impulse des Proletariats wirklich radikal werden können.
Statt die Führungsrolle des Proletariats in der chinesischen Revolution in der Praxis zu behaupten, hat sich der »Vater der Völker«, Stalin, mit den menschewistischen Thesen der »Revolution in Etappen«, die später zur offiziellen Position der KI wurden, begnügt. Während der »antiimperialistischen Etappe« darf man die nationale Bourgeoisie nicht durch »übertriebene« Agrarforderungen »erschrecken«. Während der »Etappe der Agrarrevolution« darf man selbst die Forderungen der Bauern die notwendigerweise immer bürgerlich sind, nicht überschreiten. Selbst nach der Machtergreifung durch Mao Tse-tung hat sich Moskau geweigert, die »sozialistische Etappe« anzuerkennen. Stalin betonte gern, dass die chinesische Revolution vor allen einen »antifeudalistischen« Charakter hätte und dass sie somit nicht die gleichen Ansprüche von »Aufbau des Sozialismus« wie im heiligen Russland stellen könne. Im übrigen verweigerte die UdSSR China – wie man heute (1964) besser sehen kann – nicht den Sozialismus, dessen Sieg durch die Allianz mit der Kuomintang unmöglich geworden war, sondern ganz einfach eine schnelle kapitalistische Entwicklung.
Übrigens war das Bündnis mit der Kuomintang nicht nur für das Proletariat fatal, sondern es stellte selbst für die nationale Befreiungsbewegung ein Hemmnis dar. 1926, als die konterrevolutionäre Rolle Tschiang Kai-scheks offensichtlich wurde, rief die »Kommunistische Partei China« zur Einheit mit der »linken Fraktion« der Kuomintang gegen die »Rechte« auf. Im November 1926 schickte die KPCh »kommunistische Minister« in die linke Regierung von Wuhan. Diese Allianz dauerte nur solange, bis sich die KPCh durch die Unterdrückung der bäuerlichen Bewegung endgültig kompromittiert hatte. Diese Unterdrückung wurde von Mao während der Gründung der ersten »Sowjetrepublik« in Südchina angeprangert. Trotzdem kehrte Mao zu Beginn des antijapanischen Krieges zur Taktik der »antiimperialistischen Einheitsfront« zurück, zuerst gegen, dann mit Tschiang Kai-schek. 1940 war der Bruch unvermeidlich, doch der »antifaschistische« Krieg versöhnte beide Parteien noch einmal. 1945 wurde eine neue Allianz durch Stalin erzwungen, der sich Mao nur durch die Machtergreifung entziehen konnte.
Es ist also klar, dass dieses Bündnis KPCh-Kuomintang ein grosses Hindernis für die nationale Bewegung darstellen musste. Die KPCh brach diese Allianz mehrere Male, und zwar nicht, um zum schon 1924 verlassenen Programm zurückzukehren, sondern vielmehr um die Politik der Kuomintang besser durchsetzen zu können. Die KPCh wurde zur »wahren« Kuomintang, zum »über den Klassen stehenden« Meister der Interessen des chinesischen Kapitalismus. Ende der 1920er-Jahre brach sie mit der Partei Tschiangs, um die Bauern für nationale bürgerliche Ziele zu gewinnen, was die Kuomintang nicht geschafft hatte. Der Bruch Ende der 40er Jahre galt der Behebung der Schäden des imperialistischen Krieges und der Verwirklichung der Einheit des Landes.
Eine einfache Chronologie der chinesischen Arbeiterbewegung könnte ihre schnelle Entwicklung und die plötzliche Unterdrückung in den 10 Jahren nach dem ersten Weltkrieg sichtbar werden lassen. Die Zeit war objektiv zu kurz für die Herausbildung einer kommunistischen Avantgarde, wenn man bedenkt, dass die bolschewistische Partei sich in zwei vorrevolutionären Jahrzehnten stählte. Aber man hätte erwarten können, dass die chinesische Partei unter richtiger Führung der Internationale – ohne von den objektiven Bedingungen des Klassenkampfes zu sprechen – auf die proletarische Revolution vorbereitet gewesen wäre. Das Gegenteil ist eingetreten: Die Partei wurde von der Bewegung der Massen überrollt, und die Massnahmen der Internationale, die gerade in diesen Jahren als revolutionäre Weltpartei des Proletariats verrichtet wurde, machten sie unfähig, in diesem wichtigen Moment ihre Aufgabe zu erfüllen. Das Proletariat muss aus seinen Niederlagen die Lehren für die Revolution und deren politische Linie ziehen. Es hat heldenhaft und in unvergleichlicher Weise gekämpft, und wird trotz seines aktuellen Schweigens in dieser Erfahrung die Prinzipien seiner Klassentraditionen wiederfinden.
In der Revolution von 1911 war das chinesische Proletariat als Klasse total abwesend, und an der »Bewegung des 4. Mai 1919« nahm es nur durch einen Streik der Kulis teil. Durch diese Bewegung wollte die »nationale« Bourgeoisie ihre Unzufriedenheit über die Versailler Verträge ausdrücken, die den imperialistischen Siegern den deutschen Besitz in China aushändigten. Im Juli 1921 fand der Gründungskongress der kommunistischen Partei statt. Als erstes verkündete man den Ausschluss der Anarchisten und gewisser bürgerlicher Vertreter, die man später an der Spitze der Kuomintang wiederfinden wird. Der Schwerpunkt lag auf den ökonomischen Kämpfen und auf der Gründung von Arbeitergewerkschaften. Von da an übernahm die Partei die Führung in einer gewissen Anzahl von Streiks, in denen sie das Recht auf Organisation forderte. Die zwei wichtigsten waren der Streik der Matrosen von Hongkong im Januar 1922 und der Streik der Eisenbahner der Strecke Peking-Hankou im Februar 1923. Der letztere wurde blutig unterdrückt und stellte einen ersten Höhepunkt des Aufschwungs der Arbeiterbewegung dar. Doch seit diesen ersten Schritten traten Divergenzen zwischen der KPCh und der Kuomintang in der Gewerkschaftsfrage auf.
»Die proletarischen und halbproletarischen Elemente« – erklärte Safarow auf dem Ersten Arbeiterkongress des Fernen Ostens im Januar 1922 – »müssen sich unabhängig in ihren Klassengewerkschaften organisieren. Die Gewerkschaften, die man heute als direkt an die Kuomintang gebundene Gilden und ständische Organisationen bildet, können wir nicht als Klassengewerkschaften anerkennen…« Die Allianz mit der Kuomintang wird diese Probleme, statt sie zu lösen, noch komplizierter machen.
Die »Bewegung des 30. Mai 1925« gab das Signal zu einer neuen Welle sozialer Kämpfe. Am Anfang stand ein Streik der Textilarbeiter von Tsingtao gegen ihre englischen und japanischen Fabrikbesitzer. Nach einer Schiesserei in Shanghai nahm die Bewegung das Ausmass eines Generalstreiks von Arbeitern, Studenten und Bourgeoisie an; die letztere begann, die ausländischen Waren zu boykottieren. Der Streik dauerte von Juni bis November 1925 und ruinierte den britischen Handel genau in dem Moment, wo die englischen Bergarbeiter in der Metropole den Kampf begannen. Zu diesem Zeitpunkt wurden auch die ersten Reibungen zwischen der »antiimperialistischen« Bourgeoisie und dem chinesischen Proletariat sichtbar. Die Bourgeoisie verliess bald das Streikkomitee, das sie unterstützt hatte. Die Kuomintang war durch den Zustrom der Honkonger Proletarier in Kanton erschreckt, welche den englischen Hafen aufgegeben hatten und nun einen revolutionären Druck auf die weniger bewussten Arbeiter von Kanton ausübten. Ende 1925 zeichnete sich innerhalb der Kuomintang eine Tendenz gegen die Kollaboration mit der KPCh ab.
Am 20. März 1926 wurden auf Befehl Tschiang Kai-scheks die Kommunisten der Militärschule von Whampoa und Führer der »Linken« der Kuomintang verhaftet. Stalin bewahrte grösstes Stillschweigen über diesen Handstreich. Das Bündnis wurde mittels der Unterstützung durch die KPCh bewahrt, um die Kampagne gegen die Militaristen im Norden zu führen und um eine ernste Bremse für die ökonomischen Forderungen in den »befreiten« Gebieten zu bilden. Bald wird das Prinzip des Regierungsschiedsspruches eingeführt, und die Streiks werden für den staatlichen Sektor verboten. Eine Resolution des EK der KPCh von 13. 12. 1926 beschreibt ausserordentlich gut die Situation, die sich aus dem Festhalten an dem Bündnis um jeden Preis ergibt:
»Die grösste Gefahr besteht darin: dass die Bewegung der Massen sich nach links entwickelt, während die politischen und militärischen Autoritäten aus Angst vor dem raschen Anwachsen der Massenbewegung beginnen, rechte Tendenzen zu entwickeln.
Wenn die extremen Tendenzen sich in Zukunft weiter entwickeln, wird der Abgrund zwischen den Massen und der Regierung immer grösser; die rote Einheitsfront wird schliesslich zerstört und die Einheit der Nationalen Bewegung gefährdet.
[…] In der Praxis der Arbeiter- und Bauernkämpfe müssen wir Illusionen vermeiden (zu radikale Forderungen der Handwerker und Arbeiter, Teilnahme der Arbeiter an Streikposten im öffentlichen Dienst, Besitznahme des Bodens durch die Bauern etc.), damit wir die linken Kinderkrankheiten überwinden.«
In Frühjahr 1926 beginnt die Kampagne der nationalistischen Armeen gegen die »Kriegsherren«. Im November verlässt die Regierung Kanton und geht nach Wuhan, die Hauptstadt von Provinz Hubei. Die Regierung von Wuhan überlässt der KPCh drei Ministerposten, u. a. das Landwirtschafts- und Arbeitsministerium. Während dieser Zeit marschiert Tschiang Kai-schek auf Shanghai, dessen Eroberung entscheidend für das Schicksal der Revolution sein wird.
Am 21. März 1927 bricht in Shanghai ein bewaffneter Aufstand aus, der den nationalistischen Truppen zuvor kommt. Die Stadt ist in der Hand der Arbeiter. Aber die KPCh weigert sich, den Kampf weiter zu führen, und übergibt die Waffen ihrer Abteilungen den Männern Tschiang Kai-scheks, die den Einzug in die Stadt durch die Hinrichtung von Tausenden von Proletariern an 12. 4. 1927 feiern.
Die »Linke« der Kuomintang folgt denselben Kurs. Im Mai greift die Garnison von Changsha die Kommunisten an und ermordet ihre Führer. Im Juni finden bewaffnete Überfälle auf die Versammlungsorte der Arbeitergewerkschaften statt. Am 15. Juli schliesst der Politische Rat der Kuomintang alle Kommunisten aus der Partei aus; in den folgenden Tagen verhaftet und exekutiert man viele von ihnen.
Schliesslich entsteht die Kommune von Kanton (11.–14. Dezember), Sie entstand unter dem Ansporn der Internationale (die somit in ihrer stalinistischen Zickzacklinie auf den Verrat durch die Kuomintang in unvorbereiteter Form zu reagieren versuchte), aber auch aus der Hoffnungslosigkeit und dem Hass der chinesischen Arbeiter. Sie stellte die wahren Parolen der Revolution auf und machte somit alle Tendenzen der Kuomintang vogelfrei. Aber die Bewegung ebbte ab; die objektive Situation liess nur die endgültige Niederlage zu: Die Reihen des Proletariats waren, vollkommen dezimiert, woran die Politik des Bündnisses mit der Kuomintang die Hauptschuld trug.
Die Agrarbewegung der Jahre 1925–1928 erfuhr dasselbe Schicksal wie die Arbeiterbewegung, mit dem Unterschied, dass die Niederlage der chinesischen Bauern nicht so radikal war. Der chronische Charakter der Agrarkrise liess kurzfristig eine neue revolutionäre Welle erwarten. Wegen der Niederlage des Proletariats bedeutete das aber, dass die Bauernschaft völlig auf die Seite der Bourgeoisie gehen würde. Seit der Gründung der zweiten Regierung Sun Yat-sens in Kanton im April 1921 kamen die Differenzen zwischen der Kuomintang und der kommunistischen Partei über die Agrarfrage ans Tageslicht. Die nationalistische Partei wollte die Nationalisierung des Bodens auf später verschieben und jetzt nur eine Herabsetzung des Pachtzinses durchführen. Damit blieb die Kuomintang ihrem Programm treu: »Sozialismus« nach der Vereinigung des Landes und nach der »demokratischen Etappe«. Mit dem Beginn der »Kampagne des Nordens« verschärft sich die Situation durch Sondersteuern für die Ausrüstung der Armee, und auch durch einen offenen Kampf zwischen den konterrevolutionären Milizen (den Mintuans) und den armen Bauern. In Laufe dieses Kampfes bildeten sich »Bauernbünde«, die ersten um 1924 in Kwangtung. Sie hatten zum Ziel, die Mintuans zu bekämpfen und die von der nationalistischen Regierung versprochenen Reformen zu verwirklichen. Sie formulierten somit Forderungen, die zwar bescheiden waren, aber dennoch über den Rahmen der Regierungsmassnahmen hinausgingen: Senkung des Pachtzinses, Abschaffung der Sondersteuern, bei Einführung einer progressiven Besteuerung des Einkommens, Selbstverwaltung auf dem Lande, Organisationsfreiheit und Bewaffnung der Bauern.
Die Kuomintang konnte diese Forderungen nicht erfüllen. Die KPCh begnügte sich damit, sie zu mässigen, Am 20. März 1926, als die Macht des »linken Flügels« der Kuomintang in Kanton ihr Ende fand (5 Mitglieder der KPCh sassen im Zentralkomitee der Kuomintang), hatte die nationalistische Regierung nur drei Massnahmen zugunsten der Bauern beschlossen; 1. Dekret über die Vernichtung des Banditentums; 2. Schaffung von Bauern-Organisationen; 3. Verteidigung gegen die Mintuans. Keine Rede von Agrarreform. Die KPCh stellte der Forderung nach Bewaffnung der Bauern die Entwaffnung der Mintuans entgegen.
Als die »Bauernbünde« stark genug geworden waren und die Landverteilung selbst in die Hand nahmen, versuchte die KPCh einfach, sie in Regierungsorgane zu verwandeln anstatt in ihrem Innern für ihre Verwandlung in wahre Bauernsowjets zu kämpfen. Erst im April 1927 befürwortete Stalin in improvisierter Form die Bewaffnung der Bauern und die Auslösung der »Agrarrevolution«, aber er widersetzte sich immer der Losung der Sowjets.
Das Resultat dieser Politik war, dass die Bauernbewegung statt sich zu entwickeln und zu einer höheren Organisationsform überzugehen, auf das traditionelle Niveau von Geheimgesellschaften mit politisch-religiösem Charakter zurückfiel und lediglich bewaffnete Aufstände gegen die Wucherer und Besitzenden, wie die von Shantung und Kiautschou im Frühjahr 1929, von Honan und Szechuan am Ende des gleichen Jahres, anzettelten. In vielen Regionen blieb die »Agrarrevolution« in dieser embryonalen Form stecken. Der »kommunistische Minister« der Regierung von Wuhan gab dies vor der Internationale zu:
»Wir haben praktisch die Interessen der Arbeiter und Bauern geopfert […] Die Regierung hat die Forderungen der Bauernschaft nicht angenommen, die diese im Namen verschiedener gesellschaftlicher Organisationen erhob. Wenn zwischen den Grossgrundbesitzern und den armen Bauern Konflikte entstanden, so stellte sich die Regierung stets auf die Seite der ersteren« (Zitiert von Trotzki in »Die chinesische Revolution und die Thesen Stalins« Anm.: in »Die erwürgte Revolution«, Bd. 1, S. 69)
Im August 1927 fand in Hankou eine ausserordentliche Konferenz der KPCh statt, um diese Politik zu verurteilen; eine neue Linie, die Mao Tse-tung später als »linksradikal« bezeichnete, wurde angenommen: sie befürwortete die Enteignung und sogar die Nationalisierung des Bodens. Im November 1927 wurde Mao selbst wegen opportunistischen Verhaltens während des »Aufstandes für die Herbsternte« kaltgestellt. Erst auf dem VI. Kongress der Partei, der im September 1928 in Moskau stattfand, konnte sich Mao endgültig mit einer gemässigten Taktik in der Frage der Landenteignung durchsetzen. Diese Taktik beschränkte sich auf die Enteignung der Grossgrundbesitzer: »Die Zuspitzung des Kampfes gegen die Kulaken ist im jetzigen Stadium ein Fehler, weil dadurch der Hauptwiderspruch zwischen den Bauern und den Grossgrundbesitzern verwischt wird.« Diese Linie ging in das Agrargesetz vom November 1931 ein.
Die offizielle Geschichtsschreibung stellt Mao als einen Mann dar, dem es gelang, die Partei wieder aufzurichten und ihr eine richtige Einschätzung der Bauernbewegung zu geben. In der Agrarfrage enthielt die neue Taktik nichts, was die Lage hätte radikal ändern können, zumal man sich in einer Phase der ausgesprochenen revolutionären Ebbe befand. Was die Partei selbst betrifft: Mao war eher ihr Totengräber als ihr Retter. Gemäss seiner Schule war der Opportunismus der KPCh in der Revolution von 1927 weder der Orientierung durch die Internationale noch der menschewistischen Theorie der »Revolution in Etappen« zuzuschreiben. Man warf den ehemaligen Führern nur vor, die Massenbewegung »unterschätzt« zu haben, besonders die der Bauern. Die moskauorientierte Internationale, die mit der leninistischen Internationale nichts mehr zu tun hatte, wiederholte gegenüber der chinesischen Partei die gleichen pauschalen Anklagen, die sie 1923 gegen die deutsche Partei vorbrachte. Sie schickte dann ihre chinesische Sektion in ein obskures Abenteuer, aus dem Mao als Sieger hervorging: die »Agrarrevolution« und die »Schaffung revolutionärer Stützpunkte«, die bald die pompöse Bezeichnung »sowjetische Republiken« erhielten.
Die Agrarpolitik der KPCh hat dennoch eine Anzahl von dauerhaften Folgen gehabt, Folgen, die keine »Kursänderung« und kein Wiederaufflammen der Bauernbewegung zu verhindern vermochten.
Erstens hat der Menschewismus, mit dem man an die chinesische Revolution gegangen war, die Verbindung der Bauernbewegung mit der revolutionären proletarischen Bewegung unmöglich gemacht, weil er die Losung der Sowjets und der Bauernbewaffnung ablehnte. Durch ihre Unterstützung der bürgerlichen Politik hinsichtlich der Senkung des Pachtzinses und der Landverteilung hat sich die KPCh ferner für rein reformistische Massnahmen ausgesprochen und somit die explosive Kraft, die auf dem Lande entstanden war, zeitweilig entschärft. Dadurch zeichnete sich der kleinbürgerliche Charakter des nächsten Aufschwungs der Bauernbewegung von vornherein ab und ihre Führung durch bürgerliche Kräfte wurde besiegelt. Schliesslich bereitete sich die KPCh in der ideologischen Verwirrung, die mit der Niederlage des Proletariats einherging, auf eine Wiedergeburt vor, aber nicht als proletarische Klassenpartei, sondern als die kleinbürgerliche Partei der »Agrarrevolution«, kurzum als chinesisches äquivalent zur russischen sozial-revolutionären Partei.
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Wir haben die allgemeinen Merkmale der chinesischen Revolution von 1924–27 sowie die Ursachen ihres Scheiterns aufgezeigt. Die revolutionäre Bewegung der chinesischen Arbeiter und Bauern fiel mit der akutesten Phase der stalinistischen Konterrevolution zusammen und wurde somit durch die Internationale von den politischen und gesellschaftlichen Perspektiven eines asiatischen Oktobers abgelenkt und von der Unterstützung des Weltproletariats abgeschnitten.
Im entscheidenden Augenblick der Revolution, während des 16-monatigen Generalstreiks, der Hongkong und den ganzen britischen Handel im Orient lahmlegte, hat sich Moskau beeilt, dem englischen Imperialismus zur Hilfe zu kommen, indem es zusammen mit den Trade Unions die »Englisch-russischen Komitees« bildete, die den parallelen Streik des Proletariats in der Metropole sabotierten. Genauso stellte sich die bereits stalinistische Internationale in China gegen jegliche autonome Politik der kommunistischen Partei und entwaffnete die Arbeiter von Shanghai, um das Bündnis mit Tschiang Kai-schek nicht zu sprengen. Dennoch bestätigte die einzige nationale bürgerliche Bewegung, wo nach der Oktoberrevolution das Proletariat massiv intervenierte, auch wenn es nicht gut organisiert war, die Perspektiven der doppelten Revolution, die der zweite Kongress der Komintern vorgezeichnet hatte. Wenn dieser Ansturm in China niedergeschlagen wurde, so lag es nur daran, dass man es abgelehnt hat, aus der Bewegung der Arbeiter und Bauern einen Kampf für die Sowjets und für die Diktatur der Klassenpartei zu entwickeln. Der Ausgang der Revolution von 1924–27 wurde also nicht durch den Kampf zwischen »nationaler« Bourgeoisie und Imperialismus sondern durch den Klassenzusammenstoss zwischen der Weltbourgeoisie und dem internationalen Proletariat entschieden. Nach den wiederholten Niederlagen des europäischen Proletariats stellt die Niederlage der chinesischen Revolution den letzten Akt vor dem Sieg des »Sozialismus in einen Lande« und der stalinistischen Konterrevolution in Russland dar.
Die maoistische Geschichtsschreibung sieht in der Revolution von 1924–27 einfach eine »Etappe« der nationalen bürgerlichen Bewegung, die 1949 zur Errichtung der »Volksdemokratie« führen sollte. Für uns haben diese Ereignisse eine wesentlich grössere Bedeutung. Stalin und Tschiang Kai-schek haben in China alle Anstrengungen des Proletariats zunichte gemacht, seine Auffassung und seinen praktischen sozialen Kampf im Orient durchzusetzen. China war das erste Versuchskaninchen für die Prinzipien und Taktiken der Klassenkollaboration in den national-kolonialen Bewegungen. Negation der autonomen Rolle und der spezifischen Ziele des Proletariats; »Antiimperialistisches« Bündnis mit den bürgerlichen Parteien; Übernahme der menschewistischen Theorie der Notwendigkeit einer »demokratischen Etappe«: dies sind die Prinzipien, die Moskau der KPCh aufgezwungen hat, und die sich die XPCh endgültig zu eigen machte. Indem sie den Lehren des »Kommunistischen Manifestes«, denen der Revolution von 1848 und 1871 in Europa, und der von den Bolschewiki im Oktober 1917 verfolgten Linie den Rücken kehrten, haben jene Positionen nicht nur das chinesische Proletariat in eine schreckliche Niederlage geführt, sondern sich auch als Bremsklotz bei allen späteren antikolonialen Revolutionen in Afrika und Asien durchgesetzt.
Nicht zufällig hat sich die KPCh, die moskautreu war als es sich um die Unterdrückung der Klassenkämpfe eines internationalistischen Proletariats handelte, gegen die Direktiven Moskaus gestellt, als sie sich mit der Aufgabe befasste, die nationale und Bauernbewegung zu organisieren. Das Proletariat war zwar geschlagen, man musste aber noch eine Antwort auf die soziale Frage geben und einen politischen Rahmen für die kapitalistische Akkumulation schaffen. Es waren die dringende Notwendigkeit dieser Antwort, die Verschärfung der Gegensätze, die alle Klassen der alten Gesellschaft in Bewegung gesetzt hatten, die Maos Partei gezwungen haben, die Rolle der »wahren Kuomintang« zu übernehmen. Sie hatte es abgelehnt, die Arbeiter zu bewaffnen, nun bewaffnete sie die kleinbürgerliche Bauernschaft. Sie hatte die Aufgabe der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat negiert und unterwarf sich jetzt den zwangsläufigen Folgen davon: sie machte sich zum Verfechter und Gründer der »Volksdemokratie«. Nachdem sie in China die Perspektiven des Sozialismus verurteilte, schwenkt sie heute gegen Moskau die Fahne eines »chinesischen Sozialismus«. Aber gerade weil sie sich auf diesem Boden der bäuerlichen, demokratischen und nationalen Kämpfe bewegt, konnte sie auf keinen Fall zu einer proletarischen Klassenlinie zurückfinden, und noch weniger kann sie behaupten, den Kurs der Moskauer Internationale wieder zu berichtigen. Die KPCh hat ganz einfach die politischen und sozialen Folgen der proletarischen Niederlage, d. h. den Sieg der bürgerlichen »Lösung« in Tatsachen umgesetzt. In den nachfolgenden Kapiteln werden wir versuchen zu zeigen, wie dieser »Sieg« des Kapitals in der stürmischen Periode von 1927–49 vorbereitet wurde.
Wir haben bereits auf die Interpretation hingewiesen, die die maoistische Schule für die Niederlage des Proletariats in den Jahren 1924–27 gibt. Die grundsätzlichen Positionen, die die Internationale der KPCh aufgezwungen hatte, wurden entgegen der Forderung Trotzkis nicht in Frage gestellt. Man behauptete weiter die Notwendigkeit einer »demokratischen Etappe«, in welcher das Proletariat nur für nationale bürgerliche Ziele zu kämpfen hätte. Das Bündnis mit der Kuomintang wurde nicht prinzipiell abgelehnt. Man hat den in Ungnade gefallenen Führern nur vorgeworfen, diese menschewistischen Positionen falsch durchgeführt zu haben. Anstatt zuzugeben, dass man die Interessen und die autonome Aktion des Proletariats in dieser verfehlten Revolution völlig ignoriert hatte, begnügte man sich damit, die »Unterschätzung« der Bauernbewegung anzuprangern. Dabei erscheint die Figur Mao Tse-tungs.
Auf sich selbst gestellt, ihrer proletarischen Avantgarde beraubt, musste sich die chinesische Revolution aufs Land zurückziehen. Nichts ist aber falscher als die Einbildung der KPCh, sich dort auf Klassenbasis wieder gebildet zu haben, weit von den Industriezentren, wo die Konterrevolution grassierte: die Entdeckung der »Agrarfrage« hat den Kurs der Partei nicht wiederhergestellt. Für eine Klassenpartei kann es kein Agrarprogramm geben, das nicht mit der Perspektive der Machteroberung und der proletarischen Diktatur verbunden ist. Die trotzkistische Opposition hat viele Jahre hindurch versucht, die Verbindung der Arbeiterbewegung mit den Bauernrevolten herzustellen. Sie strebte die Bildung von Bauernformationen an, nicht um Guerrilla auf dem Lande zu führen, sondern um eine Rückendeckung für die letzten Wellen der proletarischen Kämpfe der Städte zu schaffen. Leider scheitert diese Taktik bald wegen der allgemeinen Ebbe der Bewegung. Mao Tse-tung sanktionierte dann den Klassenbruch: die Organisation und die Bewaffnung der Bauernschaft sollen lediglich das Ziel der nationalen Einheit und Unabhängigkeit haben. Die KPCh übernahm die Aufgabe, die die Kuomintang nicht zu erfüllen gewagt hatte, als das Proletariat noch eine drohende Kraft darstellte: den Aufstand der Bauernschaft gegen die »Kriegsherren« (Warlords) und gegen die imperialistische Herrschaft.
Die Kuomintang wird unter dem Mäntelchen einer »kommunistischen« Partei wieder geboren, mit allen Widersprüchen und Halbheiten einer kleinbürgerlichen Partei bei der Lösung der sozialen Probleme der Revolution. Die Partei Maos behauptet zwar, der Meister einer »radikalen Agrarrevolution« zu sein; es sind aber ihre aufeinanderfolgenden Agrarprogramme sowie deren praktische Durchführung selbst, die die beste Widerlegung für solche Illusionen liefern. Sie wird, wie die Kuomintang, vor den »Übertreibungen« der Bauern zittern und sie notfalls unterdrücken. Von 1937 bis zum Ende des Weltkrieges wird die KPCh sogar die unbedeutendsten Reformen zugunsten einer nationalen anti-japanischen Front und eines erneuten Bündnisses mit der Kuomintang opfern. Last but not least wird Sie unter der Bauernschaft die schemenhafte Vorstellung verbreiten, dass die Lösung der Agrarfrage auf nationaler und bürgerlicher Ebene durch eine »gerechte Verteilung« des Bodens als Grundlage für eine spätere Kollektivierung zu erreichen sei. Die Bauern zum Aufstand aufzurufen, um die bürgerliche Revolution durchzuführen, und die Agrarrevolution auf einfache bürgerliche Reformen zu beschränken: dies waren die offen angestrebten Ziele der KPCh während der Periode der Vorbereitung der »Volksdemokratie«.
Wie stellte sich in China die Agrarfrage? Welche Möglichkeiten bestanden für eine bürgerliche Lösung? Welches waren die verschiedenen Programme der »demokratischen« Parteien Kuomintang und KPCh? Das müssen wir berücksichtigen, um die Schwierigkeiten und Misserfolge einer »Agrarrevolution« zu verstehen, der die kommunistischen und internationalistischen Perspektiven des chinesischen Proletariats fehlten.
Die maoistische Schule betonte den »antifeudalen« Charakter der chinesischen Revolution, um somit die Landverteilung als notwendige und ausreichende Massnahme für die Umwälzung der sozialen Verhältnisse auf dem Lande darzustellen. Welches aber war das Gewicht des feudalen Eigentums in China am Anfang unseres Jahrhunderts? Verglichen mit dem Grundbesitz der Krone und der Kirche in Russland war der Besitz des Staates und der Tempel in China sehr gering. Für Russland von 1905 gibt uns Lenin folgende Angaben (in Mio Desjatinen; 1 D = 1,092 ha):
| Privateigentum | 101,5 |
| Bauernanteilland | 138,8 |
| Ländereien der Krone und der Kirche | 154,7 |
Sicher muss man von der letzten Zahl die unfruchtbaren Flächen des äussersten Nordens abziehen, die aber lt. Lenin nicht mehr als 39,5 Mio. Desjatinen ausmachen. Die Zahl bleibt dennoch sehr hoch im Vergleich zu China, wofür wir folgende Prozentzahlen haben:
| Zeit | Staats- und Tempelbesitz | Privateigentum |
|---|---|---|
| Ende XVI. Jahrhundert | 50 | 50 |
| 1877 | 18,8 | 81,2 |
| 1927–1933 | 6,7 | 93,3 |
| Quelle: »Histoire du developpement économique de la Chine, 1840–1948«, Peking, 1958 (Tabelle Nr. 172) | ||
Dieser Unterschied spiegelt eine noch grössere Zersetzung der Staatsgüter durch die Mandarine und die Kompradorenbourgeoisie in China wieder, sowie eine bemerkenswerte Schwächung der Zentralgewalt während der ersten Perioden der kapitalistischen Akkumulation, die gemeinsam vom europäischen Imperialismus und den Dorfwucherern durchgeführt wurde. In China konnten daher die landlosen Bauern ihre Rettung nicht ernsthaft von einer Verteilung der »feudalen« Ländereien erwarten. Ebensowenig konnte die Bourgeoisie, wie in Russland, die Speerspitze der Bauernrevolution auf diesen nicht vorhandenen agrarischen Reservefonds ablenken.
Im übrigen erwartete die Bourgeoisie von der Revolution keinen freien Zugang zum Landbesitz. Wir haben bereits erwähnt, dass im alten China der Handel mit Grund und Boden erlaubt war, und dass die Bourgeoisie sich das Monopol dieses Handels schon längst gesichert hatte. In einem Lande, wo weniger als ein Zehntel der gesamten Fläche bebaut war, wo die Knappheit des Bodens in den fruchtbaren Gebieten intensiver Landwirtschaft einen schrecklichen Druck ausübte, war die Pachtwirtschaft die vorherrschende Form des bäuerlichen Eigentums. Die Ausmasse, die diese Form seit Anfang dieses Jahrhunderts nahm, stellte einen Faktor der chronischen Krise in der Landwirtschaft dar. Folgende Zahlen verdeutlichen den Enteignungsprozess auf dem Lande:
| Jahr | Besitzer (%) | Teilpächter (%) | Pächter (%) |
|---|---|---|---|
| 1912 | 49 | 23 | 28 |
| 1931 | 46 | 23 | 31 |
| 1936 | 46 | 24 | 30 |
| 1947 | 42 | 25 | 33 |
| Quelle: ebenda, Tabelle 174 | |||
Diese besonders in den Flussbecken Zentral- und Südchinas schwierige Situation erklärt die Formen, die die Ausbeutung der Bauernschaft in diesen Gebieten angenommen hatte. Naturalrente und sogar Fronarbeit stellen manchmal bis 70 % der Ernte dar. Man muss aber darauf hinweisen, dass diese Rente nicht einer feudalen Klasse, sondern der Bourgeoisie selbst zugute kommt, die sich von den »Investitionen« in der Landwirtschaft mehr Profit als in der Industrie verspricht und in Zusammenarbeit mit der Gentry, der lokalen Bürokratie, für die Erhaltung des Status quo auf dem Lande beiträgt. Ein grosser Teil der chinesischen Bourgeoisie lebte vom Rückstand der Industrialisierung und von der Zerstückelung des Grundbesitzes, den sie sich eingehamstert hatte und in kleine Parzellen verpachtete.
Die »linke« Regierung von Wuhan veröffentlichte die Ergebnisse einer Agrarkomission, die die Lage in Mittel- und Südchina 1927 untersuchte. Diese statistischen Daten bringen die Verschärfung dieses Kampfes um den Grund und Boden ans Tageslicht:
| Fläche der Höfe in Mu (15 Mu = 1 ha) | Anzahl der Höfe (%) | Landbevölkerung (%) | Saatfläche (%) |
|---|---|---|---|
| 1–10 | 44 | 20 | 6 |
| 10–30 | 24 | 12 | 13 |
| 30–50 | 16 | 7 | 17 |
| 50–100 | 11 | 4 | 21 |
| 100 und mehr | 5 | 2 | 43 |
| Total | 100 | 45 | 100 |
| Quelle: »Bericht der Agrarkomission der Wuhan-Regierung vor dem ZK der Kuomintang«, zit. nach A. W. Bakulin »Zapiski ob uchanskom periode kitaiskoj revoljucii«, Moskau 1930. | |||
Diese Tabelle zeigt also, dass 55 % der Landbevölkerung aus landlosen Bauern besteht, die gezwungen sind, elende Parzellen bei denen, zu pachten, die mehr als 50 Mu besitzen und über 80 % der Saatfläche verfügen. In seiner Rede vor der beratenden Konferenz des chinesischen Volkes vom März 1950 zitierte Liu Schao-Tschi ähnliche Zahlen:
»Die Grossgrundbesitzer und die reichen Bauern, die weniger als 10 % der Landbevölkerung darstellen, besassen vor dem antijapanischen Krieg etwa 70–80 % des Bodens, was ihnen erlaubte, die Bauern brutal auszubeuten. Die armen Bauern, die Landarbeiter und die Mittelbauern, die 90 % der Landbevölkerung darstellten, verfügten insgesamt über 20–30 % des Bodens.«
Diese Tabellen sagen jedoch nichts aus, wenn man die extreme Zerstückelung des Grundbesitzes und die Winzigkeit de Parzellen ausser Acht lässt. 1946 gab das Ministerium für Landwirtschaft folgende Zahlen für Gesamtchina bekannt: 94 Mio. Hektar wurden von 329 Mio. Bauern auf 63,2 Mio. Höfen bebaut, was einer bebauten Fläche von 0,28 Hektar pro Kopf oder 1,48 ha pro Hof entsprach. Noch charakteristischer sind die Hinweise des »China Handbook 1937–43« für das Jahr 1934. Wir finden dort Zahlen über die Grösse der Höfe im Süden (14 Reisanbauprovinzen) und im Norden (12 Weizenanbauprovinzen), mit einem auf der Basis von 22 Provinzen errechneten Gesamtdurchschnitt:
| Fläche in Mu | 1–5 | 6–10 | 11–15 | 16–20 | 21–30 | 31–40 | 41–50 | 51–100 | 100 | ||
|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
| Höfe (%) | Süden | 27,7 | 23,8 | 17,6 | 13,4 | 10 | 6,1 | 3,4 | |||
| Norden | 27,1 | 21,5 | 16,8 | 13,1 | 10 | 7,2 | 4,3 | ||||
| Nation. Durchschn. | 35,8 | 25,4 | 14,2 | 16,5 | 8,3 | ||||||
| Quelle: »China Handbook 1937–43«, S. 609, »The size of farm area in China« 1934. | |||||||||||
Der Unterschied zwischen Norden und Süden, der sich durch eine grössere Zerstückelung und demzufolge eine grössere Schärfe des Agrarproblems in den Reisanbaugebieten kennzeichnet, illustriert die an Bauernrevolten reichere Geschichte des Südens. Wir möchten hier darauf hinweisen, dass der »Lange Marsch« der Truppen von Mao und Chu Teh nach dem Norden weit davon entfernt war, ein siegreiches Epos der Agrarrevolution zu sein: er war im Gegenteil eine Flucht vor ihr, vor ihrem Fehlschlag. Im Süden, im Kampf gegen die nationalistische Regierung von Kanton und später von Wuhan, hätte die KPCh die aufständischen Bauernmassen für die Revolution gewinnen müssen. Nach der Niederlage des Proletariats und der Bauernbewegung in Hunan und Kiangsi hat der Marsch nach Norden nicht dazu beigetragen, die Agrarfrage wieder zum Aufflammen zu bringen, sondern erlaubte im Gegenteil der KPCh, ihr auszuweichen, um ein neues Bündnis mit der Kuomintang zu schliessen, um den chinesisch-japanischen Krieg zu führen.
Wie die Kuomintang hat auch die KPCh in der aufständischen Bauernschaft lediglich das Instrument für die Vereinigung des Landes und für die Erlangung der politischen Herrschaft des Kapitals gesehen. Deshalb zögerte sie nicht davor, die Interessen der Bauernbewegung in verschiedenen Situationen zu opfern, wie z. B. im Feldzug gegen die Militaristen des Nordens und im Krieg gegen Japan. Ganz anders waren die Bestrebungen des Klassenkampfes. Für das Proletariat der grossen Industriezentren Chinas ging es darum, ob die chinesische Revolution ihm zur Macht verhelfen würde, um somit die Verkürzung der Leiden der kapitalistischen Akkumulation mit Hilfe des westlichen Proletariats zu ermöglichen. Für die Bauernschaft ging es darum, alle Hindernisse auf dem Wege der kapitalistischen Entwicklung wegzufegen. Ohne die politischen Perspektiven der Diktatur des Proletariats konnte die »Agrarevolution« nur noch bestimmen, welche Form die Akkumulation des Kapitals im bürgerlichen China annehmen würde. Sollte es der Bauernschaft gelingen, in ihrem Kampf um das Land die Nabelschnur zu zerreissen, die den nationalen Kapitalismus an den Wucher, den Mandarin, den Komprador und den ausländischen Imperialismus band, dann würde die Entwicklung des jungen chinesischen Kapitalismus mächtig und rapide vonstatten gehen. Sollte dieser Bruch im Gegenteil weniger radikal sein, dann würde China für eine lange Periode eine Kolonie oder zumindest ein rückständiges Land bleiben. Man muss daher, wie Lenin es für Russland tat, zwischen dem reformistischen und dem revolutionären Weg der kapitalistischen Entwicklung unterscheiden, um feststellen zu können, welcher von beiden sich letzten Endes durchgesetzt hat.
Im zaristischen Russland war das Ziel der Bauernbewegung die Abschaffung des Grossgrundbesitzes und des feudalen Eigentums. Dahin führte die Entwicklung der Marktwirtschaft und des Kapitalismus. Unter diesen Verhältnissen, sagte Lenin, kann die »Agrarrevolution« einen einzigen Weg öffnen, den kapitalistischen Weg. Und die Bolschewiki mussten diese Tatsache mehrmals gegen den kleinbürgerlichen »Sozialismus« der Volkstümler betonen, die in den Bauern Fahnenträger des Kommunismus und in ihren egalitären Forderungen eine »antikapitalistische« Tendenz erblickten. Diese unausweichliche bürgerliche Entwicklung konnte in zwei verschiedenen Formen vor sich gehen: entweder durch die Umwandlung des feudalen Eigentums (eingeleitet 1861 und durch die Reformen Stolypins weitergeführt) oder durch seine revolutionäre Zerstörung. Die Bolschewiki haben sich jedoch nicht darauf beschränkt, die letzte Methode zu vertreten, sie haben auch der Vorstellung der egalitären Landverteilung die Parole der Nationalisierung des Bodens entgegenhalten, die den demokratischen Forderungen der Bauern den radikalsten Inhalt gab.
Das Fehlen grosser Latifundien, die Bedeutung der Pachtwirtschaft und die Zerstückelung des Landeigentums machten in China die kleinbürgerliche Landverteilung und die Pachtsenkung zu reformistischen Massnahmen par excellence, und die Nationalisierung des Bodens – die Übertragung der Grundrente an den Staat – zur einzigen revolutionären, von den ökonomisch-sozialen Bedingungen diktierten Massnahme. 1928 gab die KPCH auf ihrem VI. Kongress zu, dass es »unmöglich ist, die Agrarfrage auf dem reformistischen bürgerlichen Weg durch kleine Konzessionen an die reichen Bauern und Pächter zu lösen, da das kleine Landeigentum vorherrschend ist, das nicht einmal eine Senkung des Pachtzinses ertragen kann, dies auch wegen des Mangels eines Agrarfonds, mit dem man operieren könnte.« Die Überführung der Grundrente an den Staat war daher nicht nur der einzige revolutionäre Weg; sie stellte auch den einzigen Ausgang aus der Agrarkrise dar. Die Geschichte hatte dem zentralen Staat eine entscheidende Rolle bei der Wasserregulierung zugewiesen, die für die chinesische Landwirtschaft unentbehrlich ist. Aber die beschränkten Interessen des Privateigentums (und vor allem des Imperialismus) hatten zur Aufgabe, zur Vernachlässigung dieser gigantischen Arbeiten geführt und somit einen schmerzhaften Zyklus von sogenannten »natürlichen« Kalamitäten und Hungersnöten verursacht. Von diesem Standpunkt aus war China also auch viel besser als Russland auf eine leistungsfähige Konzentration des Bodens in den Händen des Staates vorbereitet.
Deswegen haben auch im Gegensatz zu Russland die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien die Notwendigkeit einer Nationalisierung des Bodens in China anerkannt. Dennoch hat keine dieser Parteien ihre Lösung in die Tat umgesetzt, die KPCh ebensowenig wie die Kuomintang. Diese Haltung entspricht genau der Haltung der bürgerlichen Parteien, die die Bolschewiki im Laufe der russischen Revolution wiederholt entlarvt haben.
In einem Artikel, den man für die Kritik der Theorien Sun Yat-sens (und Maos) unbedingt berücksichtigen muss[5], kommentierte Lenin die Auffassungen Sun Yat-sens über die Agrarfrage und zeigte, dass wenn man den Wertzuwachs des Bodens zum Volkseigentum machen will, dies nur bedeuten kann, dass man die Rente, d. h. das Eigentum von Grund und Boden in die Hände des Staates überführen, mit anderen Worten den Boden nationalisieren muss.
Im Geiste des revolutionären Bourgeois sollte dieses Nationalisierungsprojekt das chinesische flache Land auf die ausländischen Kapitalinvestitionen vorbereiten. Es war Bestandteil eines Planes für die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit, die China nach dem ersten Weltkrieg in eine Industriemacht verwandeln sollte. In seinem Werk »Memoiren eines chinesischen Revolutionärs« schrieb Sun:
»Ich schlage einen Plan für die Organisierung eines neuen Marktes in China vor, eines Marktes, der, wenn er breit genug ist, die chinesische Produktivkräfte entwickeln und die industriellen Möglichkeiten der ausländischen Mächte aufnehmen wir«.
Und er legt dann ein riesiges Programm für die Bewässerung des Untergrunds und die Entwicklung der Verkehrswege dar! Sun Yat-sen verpflichtet sich somit der Perspektive eines harmonischen und rationellen Fortschrittes des Weltkapitalismus, was die Geschichte widerlegt hat. In der Tat hat der Imperialismus dem bürgerlichen China alle Wege versperrt.
Andererseits war die Kuomintang – die Partei, die Sun Yat-sen gegründet hatte, um diese Ziele zu erreichen – sowie deren Erbe, die Partei Mao Tse-tungs, unfähig der chinesischen Revolution das Programm einer radikalen Umwälzung der alten Agrarstrukturen zu geben.
Dies tritt bei der Frage der Nationalisierung des Bodens deutlich hervor. Bereits 1922, auf dem ersten Kongress der Werktätigen des Fernostens, hat der Vertreter der bolschewistischen Partei die zögernde Haltung der Kantoner Regierung von Sun Yat-sen anprangern und die Notwendigkeit eines unabhängigen Kampfes der chinesischen Kommunisten auf dem Lande betonen müssen.
»Der Delegierte der Kuomintang erklärte«, sagt Safarow, »dass die Regierung des Südens die Nationalisierung des Bodens vor Augen hatte, dieses Projekt aber nicht durchführen konnte, lediglich weil diese revolutionäre Massnahme: Einheitlichkeit voraussetzt und in der ganzen chinesischen Republik durchgeführt werden muss. Nach der Kuomintang ist es also zunächst notwendig, das ganze chinesische Territorium von den Imperialisten und Lokalherren zu säubern und die Demokratie in China zu errichten. Das ist keine richtige Form, die Frage zu stellen […] Für die Bauern Südchinas ist die Nationalisierung des Bodens keine Frage, die von oben durch Verwaltungsmassnahmen geklärt werden kann. Für sie handelt es sich um eine Lebensnotwendigkeit. Wir müssen also diese revolutionäre Massnahme selbst in einem kleinen Teil des Landes verwirklichen, um den chinesischen Bauern, die in den vom Feind besetzten Gebieten leben, zu zeigen, dass es den Bauern dort, wo das demokratische Regime errichtet wurde, tausendmal besser geht, Ohne dies klar zu verstehen, ohne ein richtiges Verhalten in der Agrarfrage, ist es unmöglich, die Massen im Kampf auf unsere Seite zu bringen«.
Es war die bürgerliche Strategie der »Revolution in Etappen«, die die ganze Bauernbewegung zur Ohnmacht und zur Konterrevolution verurteilte. Diese Strategie stellte sich Sun Yat-sen so vor: zuerst Unabhängigkeit und Vereinigung des Landes; dann die Errichtung einer demokratischen Macht; schliesslich die »sozialen Reformen«. Die KPCh hat 1924 ihrerseits diese strategische Linie eingeschlagen und musste deshalb dasselbe Schicksal wie die Kuomintang haben. Auch sie verpflichtet sich in Worten dem Programm der Nationalisierung und ergriff in der Praxis lediglich reformistische Massnahmen. Die Thesen, die vom ZK der KPCh auf ihrer Konferenz vom August 1927 verabschiedet wurden und die eine »Wende nach Links« darstellten, erklärten im wesentlichen »Obwohl die KPCh anerkennt, dass die Forderung nach der Nationalisierung des Bodens im Mittelpunkt des Agrarprogramms des Proletariats stehen muss, ist es heute notwendig, unsere Agrartaktik zu differenzieren und den jeweiligen ökonomischen und politischen Besonderheiten anzupassen«. Diese »Anpassung« hatte nur das Ziel, in den von der nationalistischen Armee befreiten Gebieten die reformistischen »konkreten« Massnahmen gelten zu lassen, um die »Einheitsfront« mit der Kuomintang nicht zu gefährden. Die Konferenz von August empfahl unter anderm folgende solcher Massnahmen: Pachtsenkung, Einführung einer Einheitssteuer, Einschränkung der Enteignung auf die Tempel und die »Reaktionären«, eine Politik des Agrarkredits usw.
Sogar in der Agrarfrage erscheint also die KPCh als Testamentsvollstrecker der Kuomintang.
Man unterscheidet im allgemeinen zwei gut abgegrenzte Perioden in der politischen und sozialen Geschichte Chinas zwischen der Niederlage des Proletariats von Kanton und dem Abschluss des chinesisch-japanischen Krieges bzw. dem Sieg der »Volksdemokratie«:
– Zwischen 1927 und 1937 liegt die sogenannte Periode der »Republiken der Sowjets«, von Oktober 1934 bis zum Oktober 1935 vom »Langen Marsch« unterbrochen, der die Kämpfe von Südchina zum Norden (Schensi) verlagert, wo ein Waffenstillstand zwischen KPCh und Kuomintang stattfindet;
– Nach 1937: unter den Bedingungen des chinesisch-japanischen Krieges löst die KPCh ihre eigene Regierung auf, ergreift die nationale Verteidigung und unterzeichnet ein Zusammenarbeitsabkommen mit der Kuomintang diese Zusammenarbeit wird bis zum Ende des Krieges 1945 dauern.
Die offizielle Geschichtsschreibung unterscheidet auch zwischen zwei Phasen in der Agrarpolitik der KPCh während dieser ganzen Periode. 1937 ging man von der Beschlagnahme von Land auf eine Politik der einfachen Pachtsenkung und »Hilfe« für die Bauern über. Wie wir bereits gesehen haben, waren beide in der Praxis zwei verschiedene Varianten derselben reformistischen Politik. Die zweite zeigt jedoch den bürgerlich-nationalen Charakter der ganzen Agrarpolitik der KPCh noch offensichtlicher. In seinem Nachwort zur 1941er-Auflage von »Untersuchung der Verhältnisse im Dorf« beschrieb Mao Tse-tung mit folgenden Worten die Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Politiken:
»Die Erfahrungen aus der Periode des zehnjährigen Bürgerkrieges geben uns die besten und nächst liegenden Hinweise für die gegenwärtige Periode des Widerstandskrieges gegen die japanische Aggression. Das gilt jedoch nur dort, wo es sich darum handelt, wie wir uns mit den Massen verbinden, wie wir sie gegen den Feind mobilisieren, nicht aber dort, wo es um taktische Linien geht. Die taktische Linie der Partei ist jetzt eine prinzipiell andere als sie in der Vergangenheit war. Damals war sie gegen die Grundherren und die konterrevolutionäre Bourgeoisie gerichtet; heute richtet sie sich auf ein Bündnis mit jenen Grundherren und Angehörigen der Bourgeoisie, die nicht gegen den Widerstandskrieg eingestellt sind«. (»Ausgewählte Werke«, Bd. 3, S. 10)
Was bedeutet das? Dass die KPCh die »Agrarrevolution« in den Dienst der nationalen Verteidigung gestellt hat; dass sie den Grundherren, der antijapanischen Bourgeoisie und der Kriegsstrategie des Weltimperialismus ihre Bindung zu den Massen, ihre Mobilisierung der Bauernschaft auf einem goldenen Tablett dargebracht hat.
Mit dem Bluff der »Republiken des Sowjets« im Vordergrund war das klar erkennbare Ergebnis dieser Periode, den Sieg der »rechtesten« Agrarpolitik, in diesem Fall der von Mao Tse-tung, vorzubereiten. Diese Entwicklung wird durch drei »Etappen« gekennzeichnet:
– anlässlich des »Aufstandes der Herbsternte« und in den Bergen von Tsingkang, befürwortete Mao eine Beschränkung der Landenteignung auf die Grossgrundbesitzer; die reichen Bauern sollten geschont bleiben und die Verteilung der Landparzellen auf der Grundlage eines gleichen Rechtes für alle erfolgen. Die Politik brachte ihm die strengste Kritik der Parteiführung. Es ist bekannt, dass Mao deswegen im November 1927 von seinem Posten im Politbüro abgesetzt wurde.
– Im November 1931 verabschiedete der I. Allchinesische Rätekongress in Jui-dschin, der Hauptstadt der ersten »sowjetischen« Republik Chinas, ein Agrargesetz, das bei weitem das »radikalste« in der Geschichte der KPCh bleiben sollte: Enteignung aller Ländereien der Grossgrundbesitzer, die kein Recht auf eine Parzelle haben sollten (Art. I); Enteignung des Landes der reichen Bauern, die nur eine weniger fruchtbare Parzelle erhalten werden, die sie selbst bebauen müssen (Art. 3); die Verteilung wird strikt egalitär sein und nicht, wie die reichen Bauern fordern; »entsprechend den Produktionsmitteln« (Art. 7); die Landarbeiter erhalten auch eine Parzelle und werden nicht in Sowchosen (staatliche Genossenschaften) zusammengeschlossen; das Gesetz verkündet schliesslich die absolute Freiheit, die erhaltenen Parzellen zu verpachten, verkaufen und vererben.
Dieses Agrargesetz kritisierte Mao Tse-tung später, als er Präsident der Republik von Jui-dschin war: es wäre erforderlich, dass auch die Grossgrundbesitzer eine Parzelle und dass die reichen Bauern gute Erde bekommen. Um die »Überschreitungen« zu unterdrücken, verfasste er im Oktober 1933 ein Dokument über die Klassenverhältnisse im Dorf und setzte seine Auffassungen auf der Konferenz von Tsun-i vom Januar 1935 durch.[6]
In dieser Weise ist die Politik der Enteignung und Verteilung am Ende dieser Periode zu einer blossen Politik der Pachtbeschränkung geworden, was im Einklang mit der Entwicklung der KPCh stand.
Am 22. September 1937 gab die KPCh feierlich bekannt, dass sie auf die Politik des Sturzes der Kuomintang und der Landenteignung verzichte, um die »Einheitsfront« gegen Japan zu erleichtern. Mao Tse-tung wird später präzisieren, welche »Agrarpolitik« die KPCh damals zu verfolgen anfing:
»In der Bodenpolitik wird eine Doppelpolitik verfolgt, die darauf gerichtet ist, einerseits von den Grundherren die Senkung der Pacht- und Darlehenszinsen zu verlangen, andererseits die Bauern zu verpflichten, die reduzierten Zahlungen zu entrichten«, (»Ausgewählte Werke«, Bd. III, S. 11).
Das Wesen dieser Politik lag in einer Herabsetzung der Pachtzinsen auf höchstens 37,5 % und in einer Höchstgrenze für die Darlehenszinsen von ca. 10–15 %. Im übrigen waren diese Massnahmen, die die KPCh in den befreiten Gebieten durchführte, bereits im Strafgesetzbuch der Regierung Tschiang Kai-scheks enthalten. Am 30. Januar 1930 hatte die Kuomintang ein »Agrargesetz« erlassen, das einen Pachtzins von über 37,5 % des Hofertrages verbot. Damals hatte die KPCh dieses Gesetz heftig kritisiert, 1937 übernahm sie es aber auf ihre eigene Rechnung und wurde sogar zu dessen Garant, da die Kuomintang ja nie fertiggebracht hatte, es in die Tat umzusetzen.
So kam die Partei der »Agrarevolution« dazu, in Namen des bedrohten Vaterlandes die »Feudalen« zu verteidigen. Am 28. Januar 1942 drückte sich ein Beschluss des Zentralkomitees der KPCh über die einzuschlagende Linie so aus:
»Die Politik der Partei besteht darin, den Bauern durch die Milderung der feudalen Ausbeutung zu helfen, ohne diese jedoch vollständig abzuschaffen. Wir müssen die bürgerlichen Freiheiten, die Eigentumsrechte, die politischen und wirtschaftlichen Freiheiten der Besitzer sicherstellen, um ihre ganze Klasse für unseren Kampf gegen die Japaner zu gewinnen. Nur die absolut unverbesserlichen und nicht bussbereiten Verräter werden von der Politik der Abschaffung das feudalen Eigentums getroffen«.
Genauso, wie sie in der Revolution von 1924–27 die politischen Interessen des Proletariats geopfert hatte, opferte die KPCh in der Inkubationsperiode der »Volksdemokratie« die sozialen Interessen der Bauernschaft. Während sie aber in der revolutionären Periode der 1920er-Jahre vor den Augen des Proletariats keine Gemeinsamkeit der Endziele mit der Kuomintang offenbart hatte, war sie jetzt dabei, die Rolle der »wahren Kuomintang« zu spielen. In der Broschüre von 1945 »Über die Koalitionsregierung« rühmt sich Mao Tse-tung, als einziger die Pachtsenkungspolitik der Kuomintang angewendet zu haben und fügt in Hinblick auf die Zukunft hinzu:
»Wenn keine besonderen Hindernisse auftauchen, sind wir bereit, diese Politik auch in der Nachkriegsperiode fortzusetzen. Wir werden zunächst die Herabsetzung von Pacht- und Darlehenszinsen im ganzen Lande durchführen und später durch geeignete Massnahmen schrittweise erreichen, dass jeder Pflüger sein Feld erhält«. (»Ausgewählte Werke«, Bd. 3, S. 292).
Die »Hindernisse« werden aber nicht fehlen, so dass diese Politik schliesslich nur in… Formosa, mit »Hilfe« des amerikanischen Imperialismus durchgeführt werden wird – 1949 kehrt Tschiang Kai-schek zu seinem Pachtgesetz von 1930 zurück; 1953 wird erlassen, dass kein Bauer mehr als 3 Hektar Reisanbaufläche besitzen darf; der Rest wurde vom Staat aufgekauft, um dann den Landarbeitern verkauft zu werden, so dass in zwei Jahren 470 000 Familien des Satelliten des US-Imperialismus zu Parzellenbesitzern wurden; man behauptet, die Halbpächter sind auf der Insel des chinesischen Henkers verschwunden…
Auf Kontinental-China gab es ganz andere Schwierigkeiten. Wenn Mao jedoch einem anderen Weg gefolgt ist, so geschah das trotz seiner Vorstellungen und unter den Druck der wirtschaftlichen und sozialen Gegensätze der Nachkriegszeit. Die eingeschlagene Richtung war dennoch nicht weniger reformistisch und bürgerlich.
Während die KPCh in der Revolution von 1924–27 die menschewistische Theorie einer »demokratischen Etappe« für die proletarische Bewegung vertrat, wird sie aus der Erfahrung der »Agrarrevolution« soziale Konsequenzen ziehen, die auf derselben menschewistischen Linie liegen und die Bauernbewegung in der bürgerlich-reformistischen Fortschrittspolitik gefangen halten: zunächst Landverteilung (oder Senkung des Pachtzinses) und erst dann Kooperation. Es handelt sich dabei um die zwei klassischen und aufeinanderfolgenden Phasen die jede kapitalistische Landwirtschaft durchläuft. Die erste ist die der Vernichtung der alten Verhältnisse und der Errichtung von bürgerlichen Verhältnissen (Verkauf der »Staatsländereien«, Verteilung usw.). Die zweite Phase stellt einen langen Prozess der Enteignung des Kleinbauers und der Konzentration dar, der auf einen breiteren Einsatz von Technik und Kapital in der Landwirtschaft hinführt. Das Tempo dieser Entwicklung hängt unter anderem davon ab, wie durchgreifend die Umwälzung der vorkapitalistischen Agrarverhältnisse durch die bürgerliche Revolution gewesen ist. Deshalb befürwortet die proletarische Partei die radikalsten demokratischen Lösungen in der bürgerlichen Revolution. Dadurch manifestiert sie keine naive Vorliebe für die stürmische kapitalistische Entwicklung dieses oder jenes Staates, sondern zielt auf die politischen und sozialen Folgen dieser Entwicklung ab: die Existenz von anderen entwickelten kapitalistischen Ländern, die Stufe der Organisation des Weltproletariats, erlauben ihr, diesen Sprung nicht nur vorauszusehen, sondern machen ihr auch zur Pflicht, ihn zu versuchen.
In der »Ansprache der Zentralbehörde an den Bund« von März 1850 definierte Marx mit folgenden Worten die Perspektiven des Proletariats in der Agrarfrage:
»Der erste Punkt, bei dem die bürgerlichen Demokraten mit den Arbeitern in Konflikt kommen werden, wird die Aufhebung des Feudalismus sein; wie in der ersten französischen Revolution werden die Kleinbürger die feudalen Ländereien den Bauern als freies Eigentum geben, das heisst, das Landproletariat bestehen lassen und eine kleinbürgerliche Bauernklasse bilden wollen, die denselben Kreislauf der Verarmung und Verschuldung durchmacht, worin jetzt der französische Bauer noch begriffen ist.
Die Arbeiter müssen diesem Plane im Interesse des Landproletariats und in ihrem eigenen Interesse entgegentreten. Sie müssen verlangen, dass das konfiszierte Feudaleigentum Staatsgut bleibt und zu Arbeiterkolonien verwandt wird, die das assoziierte Landproletariat mit allen Vorteilen des grossen Ackerbaus bearbeitet und wodurch das Prinzip des gemeinsamen Eigentums sogleich eine feste Grundlage mitten in den wankenden bürgerlichen Eigentumsverhältnissen erlangt.« (MEW, Bd. 7)
Was bedeutet das? Eben dass mit der Zerschlagung des Feudalismus die Interessen des Proletariats in offenem Gegensatz zu denen der Bourgeoisie stehen; dass die kommunistische Partei in der Revolution die Erschütterung aller Eigentumsverhältnisse verfolgen und dem bürgerlichen Plan entgegentreten soll, der erst am Ende des Proletarisierungsprozesses der Kleinbauern und der Verwandlung aller Arbeit in Lohnarbeit zur Konzentration des Eigentums und Sozialisierung des Produkts führt. Der Losung »Permanente Revolution« entspricht also für Marx eine Aktionslinie, die darauf abzielt, die »Etappe« der kapitalistischen Akkumulation und deren zwei Phasen auf dem Lande (nämlich Einführung des kleinbürgerlichen Eigentums und später dessen Abschaffung durch Expropriation bzw. Kooperation) möglichst abzukürzen. Auf dieser Linie stand die bolschewistische Agrarpolitik nach der Oktoberrevolution, die alle im Interesse der politischen und militärischen Festigung der Diktatur des Proletariats gemachten Konzessionen an die Bauernschaft eben in der Perspektive machte, durch das Ineinandergreifen einer raschen Konzentration der Produktivkräfte in Russland mit dem proletarischen Sieg in den entwickelten kapitalistischen Ländern die Grundlagen für die Einführung der sozialistischen Wirtschaft in Russland zu schaffen (siehe diesbezüglich unsere Broschüre »Revolution und Konterrevolution in Russland«).
Die Kritik, die wir in der Folge an der chinesischen Kollektivierung und an den »Volkskommunen« machen werden, geht demzufolge nicht von der einfachen Betrachtung der angewandten Methoden und der erzielten Resultate aus. Diese Genossenschaften haben mit den »Arbeiterkolonien«, von denen Marx sprach, genauso wenig zu tun, wie der russische Kolchos mit den Auffassungen Lenins über die Kooperation in der Landwirtschaft. Allein die Tatsache aber, dass Mao die Kooperation zur Fortsetzung und zum Ergebnis einer kleinbürgerlichen Reformpolitik machte, deren Ziel es war, dass »jeder Pflüger sein Feld erhält«, genügt, um den Charakter dieser Politik und ihren Gegensatz zu der sozialistischen Perspektive festzustellen.
Während der Periode von 1927 bis 1945 waren die Bemühungen des Maoismus darauf konzentriert, die Bauernbewegung auf diese schrittweisen »Lösungen« zu kanalisieren und die »notwendigen Etappen« einer bürgerlichen Reform deutlich auseinanderzuhalten. Als »Überschreitungen«, die Mao bei der Durchführung des Gesetzes von 1931 in Jui-dschin bekämpft, erwähnt man u. a. die Ablehnung der Bauern, den freien Bodenhandel zu erlauben und die Opposition bestimmter Militanten gegen die Politik der Landschenkung an Landarbeiter (die ja die eigentliche Unterstützung des Proletariats auf dem Lande darstellen). Schliesslich ist Mao in dieser ersten Phase mit Nachdruck dafür eingetreten, dass man sich auf die Losung »Das Land dem, der es bestellt!« beschränke, und lehnte alle Kollektivierungsprojekte ab. »Gegenwärtig kann die Frage einer staatlichen bzw. kollektiven Landwirtschaft noch nicht gestellt werden«, sagte er 1934 (»Ausgewählte Werke«, Bd. 1, S. 169). Am Ende dieser Periode wird er diese typisch kleinbürgerliche Auffassung der zwei Phasen der »Agrarrevolution« mit aller Deutlichkeit formulieren. Wir zitieren aus seinem Referat »Über die Koalitionsregierung«, Der Leser wird den totalen Gegensatz zu den Worten von Marx feststellen können:
»Sobald Reformen im Agrarsystem durchgeführt werden, und sei es auch nur der erste Schritt – z. B. Herabsetzung von Pacht- und Darlehenszinsen –, wird das Interesse der Bauern an der Produktion steigern. Wenn man dann den Bauern hilft, sich nach dem Prinzip der Freiwilligkeit Schritt für Schritt in landwirtschaftlichen Produktions- und sonstigen Genossenschaften zu organisieren, werden die Produktivkräfte wachsen. Vorläufig können diese landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften nur kollektive Arbeitsorganisationen der gegenseitigen Hilfe sein, die auf der bäuerlichen Einzelwirtschaft (auf dem Privateigentum der Bauern) basieren, wie beispielsweise Arbeitsaustauschbrigaden und -gruppen sowie Gruppen der gegenseitigen Hilfe.« (»Ausgewählte Werke«, Bd. III, S. 295)
Zitieren wir noch einen Auszug aus demselben Dokument, wo die berühmte »Agrarrevolution« mit ihrem offenen bürgerlichen Gesicht erscheint, wo der Bauer als Vertreter bürgerlicher Verhältnisse, Kunde der kapitalistischen Industrie und Steuerzahler des demokratischen Staates, Soldat des Vaterlandes und künftiger Proletarier auftritt! Nach der Erklärung, dass die kommunistische Partei Chinas in der Agrarfrage ein verantwortungsvolles Werk im wirklichen Interesse der Nation vollbracht hat, schreibt Mao:
»Die Bauern – sie sind es, von denen die chinesischen Arbeiter abstammen. In Zukunft werden noch Dutzende Millionen Bauern in die Städte, in die Fabriken ziehen. Wenn China eine mächtige nationale Industrie und viele moderne Grossstädte aufbauen will, wird es einen langen Prozess der Umwandlung von Landbevölkerung in Stadtbevölkerung erleben müssen.
Die Bauern – sie sind die Hauptfigur auf dem Markt der chinesischen Industrie, Nur sie vermögen die reichlichsten Mengen an Lebensmitteln und Rohstoffen zu liefern und Industriewaren in grösseren Mengen aufzunehmen. Die Bauern – sie sind die Quelle der chinesischen Armee. Die Soldaten sind Bauern in Uniform, die Todesfeinde der japanischen Aggressoren,« (»Ausgewählte Werke«, Bd. 3, S. 294–295).
Also kurz und gut: Es lebe die Akkumulation des Kapitals! Bauern, bereichert Euch; die Zukunft der chinesischen Industrie liegt in Eurer Kaufkraft! Vor allem aber: zu den Waffen! Für den Sieg der Demokratie und des Friedens, Seite an Seite mit der UdSSR und den USA im imperialistischen Krieg!
Notes:
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Der Taiping-Aufstand, der von 1850 bis 1864 weite Gebiete Chinas erfasste und rund 30 Millionen Menschen das Leben kostete, war das erste bedeutende Anzeichen einer neuzeitlichen Entwicklung, die unter dem Einfluss des Kapitalismus den chinesischen sozialen Kräften eine neue Richtung gab. Dieser Aufstand stellte zum ersten Mal in der chinesischen Geschichte einen wirklichen Bruch mit der Vergangenheit dar, da der Angriff sich nicht nur gegen die Dynastie, sondern auch gegen die ganze konfuzianische Sozialordnung richtete.
Neuerdings »Diktatur des Proletariats« getauft; siehe diesbezüglich »›Proletarische Diktatur‹ und ›Sozialistische Gesellschaft‹ Made in China«, »Bulletin« Nr. 6, Mai 1975
Mit der Bildung des nationalen deutschen Staates und vor allem durch das Bündnis der kriegführenden Mächte Frankreich und Preussen gegen die proletarische Kommune von Paris.
Für eine umfassende Kritik der Bewegung Sun Yat-sens (die ebenso als vorweggenommene Kritik des Maoismus gilt) siehe Lenin »Demokratie und Volkstümlerideologie in China«, LW, Bd. 18, S. 152 ff.
Lenin, »Demokratie und Volkstümlerideologie in China«. LW, Bd. 18, S. 152 ff.
Auf der Konferenz von Tsun-i während des »Langen Marsches« erlangte Mao de facto die Vorherrschaft in der KPCh. Wang Ming, der damalige Führer der KPCh und Fraktionschef der moskauorientierten »28 Bolschewiki« oder der »Internationalen Fraktion«, weilte in Moskau. Mao errang den Sieg nur deswegen, weil er die Generäle in die Tagung brachte. Zehn Jahre dauerte der Machtkampf bis »Mao Tse-tungs Gedanken« auf dem 7. Parteitag im April 1945 offiziell als Leitlinie für alle Parteiarbeit angenommen wurden.
